Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
beschaffen. Nein, V-Männer sind in der Regel hartgesottene Rassisten, gewaltbereit, zum Teil auch schon gewalttätig geworden, die sich nur deshalb vom Verfassungsschutz als Spitzel haben anwerben lassen, weil sie dafür Geld bekommen. V-Leute sind, kurz gesagt, keine Staatsschützer, sondern eher staatlich bezahlte Neonazis. Wer glaubt ernsthaft, dass solche Typen immer alles, was sie wissen, preisgeben? Wer garantiert, dass sie nicht das Wichtigste für sich behalten und ihre bösartigsten Kameraden schützen?
Ich habe mittlerweile erfahren, dass der Verfassungsschutz manchmal seine V-Leute selbst dann noch deckt, wenn sie die übelsten Dinge treiben. Es gibt den gerichtlich belegten Fall eines V-Mannes, der CDs mit Mordaufrufen gegen prominente Juden vertrieb – und vom Verfassungsschutz gewarnt wurde, als die Polizei eine Hausdurchsuchung machen wollte. So konnte der Neonazi die Hetz-CDs rechtzeitig verstecken und weiterverkaufen; eine staatlich geförderte Hasskampagne. Und die Berliner Polizei führte sogar einen Neonazi als «Vertrauensperson», der dem Terror-Trio Sprengstoff beschafft hatte. Es gibt mehr als ein Beispiel dafür, dass V-Leute bis zu sechsstellige Summen vom Staat bekamen – und dieses Geld dafür verwendeten, um neonazistische Strukturen weiter auszubauen! Dieses V-Mann-System kommt mir wie abgründigster Hohn vor. Spätestens seit dem Jahr 2010 war es zumindest in Teilen des Milieus anscheinend ein offenes Geheimnis, wer hinter diesen Morden steckte. Die rechte Szeneband «Gigi und die braunen Stadtmusikanten» verkündete es ja lauthals in ihrem «Döner-Killer-Song», in dem es hieß: «Spannender als jeder Thriller, sie jagen nach dem Döner-Killer. Neunmal hat er bislang brutal gekillt, doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt.» Haben die Ermittler von diesem Lied nichts mitbekommen? Und wenn immerhin seit 2010 dieser schreckliche Song kursierte – liegt es da nicht nahe, dass schon viel früher Gerüchte in Umlauf waren?
In meiner Familie können wir durchaus nachvollziehen, dass die Polizei bei Mordtaten zuerst die Angehörigen unter die Lupe nimmt, weil es statistisch gesehen nun einmal naheliegt. Was wir nicht verstehen, ist das Fehlen jeglicher Sensibilität gegenüber uns Hinterbliebenen. Die Polizisten ließen einfach ihre routinemäßige Prozedur ablaufen, wie sie später auch die Familien der anderen Opfer immer wieder ertragen mussten, von den Drogenspürhunden bis zu den Vernehmungen, die suggerierten, unsere Verstrickung in die Tat stünde bereits fest. Die deutsche Polizei sah türkische Opfer und ging automatisch davon aus, dass auch die Tat türkische Hintergründe haben müsse. Man ordnete uns stereotyp ein und behandelte uns entsprechend. Jahrelang folgte die Polizei erfundenen Hinweisen eines Drogendealers und versäumte die ganze Zeit über, dessen Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin abzuklopfen. War das Schlamperei? Oder Vorurteil?
Meiner Familie und mir drängte sich der Eindruck auf, dass die Nürnberger Polizisten sich bei ihren Ermittlungen völlig verrannt hatten. Wenn sie nun behaupten, es habe keine konkreten Anhaltspunkte gegeben, die auf rechtsextreme Täter hindeuteten, klingt das für mich wie eine Ausrede. Man kann nur dort etwas finden, wo man auch ernsthaft sucht. Die Polizisten sagen heute zwar, sie hätten von Anfang an auch die Hypothese erwogen, dass die Verbrechen rassistisch motiviert sein könnten. Uns aber haben sie von Anfang an erklärt, dass sie genau das ausschließen.
Ich weiß, dass sich die Nürnberger Polizisten bei der Suche nach den Mördern sehr viel Mühe gegeben haben, ich möchte nicht ungerecht sein. Doch wenn sie behaupten, bei ihren Ermittlungen alles richtig gemacht zu haben, dann werden sie sich nie mit ihren Irrtümern auseinandersetzen, und man wird nie verstehen, wie es zu den fatalen Ermittlungsfehlern kommen konnte. Mit dieser Haltung ist eine Wiederholung solcher Desaster in anderen Fällen vorprogrammiert.
Warum haben die Ermittler in Nürnberg nie ernsthaft erwogen, dass die Morde der Ceska-Serie aus Hass auf Ausländer begangen worden sind? Und warum ist über elf Jahre hinweg auch sonst fast niemand auf diese Idee gekommen? Vielleicht ist das die entscheidende Frage. Denn wer feststellt, dass die Polizisten mit Blindheit geschlagen waren, kommt auch zu dem Schluss: Sie waren nicht die Einzigen. Es gab Hinweise genug, dass es um die Jahrtausendwende im braunen Sumpf zu brodeln begann. In ganz
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