Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
hatten.
Noch schlechter war es um die Kooperation zwischen den Behörden bestellt. Der thüringische Geheimdienst erhielt von seinen V-Leuten zwar fast fünfzig Berichte über das flüchtige Trio, leitete aber nur fünf davon an das Landeskriminalamt weiter. Auch mit den Geheimdienstbehörden anderer Bundesländer oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz, so stellte die Schäfer-Kommission fest, tauschten sich die Erfurter Verfassungsschützer nur unregelmäßig und unvollständig aus. Letztlich arbeitete jede Behörde für sich, sodass niemand die vielen Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammenfügen konnte. Dabei hatte allein der thüringische Verfassungsschutz in den anderthalb Jahren nach dem Abtauchen des Trios eine Menge konkreter Hinweise zusammengetragen. Die Flüchtigen, so war aus verschiedenen Quellen zu erfahren, könnten sich im Sächsischen aufhalten, genau gesagt im Raum Chemnitz, wo Uwe Mundlos viele «Blood and Honour»-Mitglieder kannte. Die drei benötigten dringend Geld, weil die Summen, die als Spenden bei einem Skinheadkonzert und durch den Verkauf von «Pogromly»-Spielen, einer pervertierten Monopoly-Variante, zusammengekommen waren, vorne und hinten nicht reichten. Außerdem brauche das Trio Waffen.
Von November 1999 an änderte sich der Ton der Nachrichten, in denen die Zuträger dem thüringischen Geheimdienst berichteten. Ein «Blood and Honour»-Aktivist und andere rechtsextreme Sympathisanten hätten den dreien über einen Mittelsmann mehrmals Spenden angeboten und jedes Mal die Antwort erhalten, das sei nicht mehr nötig, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten mittlerweile Geld, sie würden inzwischen «jobben», «Aktionen» durchziehen, «Sachen» machen. Die klamme Zeit sei jedenfalls vorbei.
Bis September 1999 waren die drei dauernd in Geldnot und brauchten Waffen, und ab November 1999 kam plötzlich das Signal, man sei bestens versorgt. Angenommen, diese Erkenntnisse wären von den Ermittlern zusammengeführt worden, angenommen, thüringische und sächsische Beamte hätten sich kurzgeschlossen, angenommen, Geheimdienstler und Polizisten hätten kooperiert – dann wäre ihnen möglicherweise aufgefallen, dass ausgerechnet zu dieser Zeit eine Serie von Banküberfällen begonnen hatte. Allein in Chemnitz hatten die Räuber im Oktober 2000 zweimal zugeschlagen. Schon vor dem ersten Mord des Trios hätten bei den Sicherheitsbehörden also die Alarmlampen aufleuchten müssen. Zugleich zeigte sich hier eine Spur, der sich folgen ließ. Doch nichts geschah.
Ähnliche und teils dieselben Unzulänglichkeiten, die der Schäfer-Bericht für Thüringen minuziös festhielt, lassen sich auch jenseits des Freistaats beobachten. Bei der Suche nach den Ceska-Mördern rangen auch die Polizisten in Nürnberg und ihre Kollegen in Hamburg um die Lösung des kriminologischen Rätsels, alle arbeiteten sie mit größtem Einsatz an der Aufklärung des Falls, leider ebenfalls eher unkoordiniert. Steuerungsgruppen tagten und konnten sich auf keinen Kurs einigen, da die unterschiedlichen Ermittlungsansätze – von der Verbrecherorganisation bis zum Einzeltäter – einander heillos widersprachen. Es gab zahllose Arbeitstreffen, Sitzungen, aber keine Ergebnisse. Sollte nicht vielleicht das Bundeskriminalamt die Gesamtleitung übernehmen? Oder wäre das eine Kampfansage an die bayerische Polizei, die sich dadurch zurückgesetzt fühlen müsste? Es hakte überall.
Während die Beamten von Polizei und Geheimdienst in Thüringen sich bei ihren Ermittlungen weitgehend gegenseitig ignorierten, fochten ihre Kollegen in Hessen miteinander Machtkämpfe aus. Als Halit Yozgat im Jahr 2006 in seinem Internetcafé in Kassel ermordet wurde, war ein Verfassungsschutzmann namens Andreas T. im Laden. Die Polizei wollte ihn vernehmen, um zu erfahren, was er von dem Mord mitbekommen hatte, doch die hessischen Geheimdienstler stellten sich quer und lehnten es sogar ab, überhaupt nähere Informationen zu ihrem Mitarbeiter herauszugeben. Ihre Begründung war, es handle sich ja schließlich in diesem Fall «nur um ein Tötungsdelikt», nicht um staatsrelevante Geschehnisse.
In Bayern gingen die Beamten der Besonderen Aufbauorganisation Bosporus im Juli 2006 einem Hinweis der Kollegen von der Operativen Fallanalyse nach, dem zufolge es sich auch um einen Einzeltäter mit rechtem Hintergrund handeln könnte. Die Ermittler forderten beim bayerischen Verfassungsschutz eine Liste mit Rechtsextremisten aus dem Großraum
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