Schmerzlos: Thriller (German Edition)
»Runter.«
Meine Mutter lag mit weit aufgerissenen Augen auf dem Teppichboden und rang nach Luft. Ich ließ mich neben sie fallen.
»Evan«, rief Jesse.
Ich hob den Kopf. Über die Treppe vom oberen Zwischengeschoss war Coyote auf dem Weg zu uns. Sie hinkte noch stärker, und ihr Fuß war zur Seite abgewinkelt. Die Überreste ihrer rechten Hand steckten in einem blutigen Stoffstreifen. Sie hatte ihr Hemd zerrissen und es um den Stumpf gewickelt, um die Blutung zu stoppen. Die Glock hielt sie ungeschickt in der linken Hand. Meine Mutter starrte mich an. Sie machte den Mund auf, sagte aber nichts.
Coyotes Gesicht war totenblass, aber teilnahmslos. Sie wirkte nicht mehr wie eine Frau, eher wie ein Zombie, der sich durch unwegsames Gelände kämpfte. Sie blinzelte nicht einmal. Obwohl sie schwer verletzt war, hatte sie offenbar keine Schmerzen. Für sie gab es nur ihr Ziel.
»Ihr habt mir mein Leben geraubt. Ihr vier.«
Sie versuchte, die Glock zu heben. Die Waffe wog ein paar Pfund, und da ihr Jesse mit dem Montiereisen den Arm gebrochen hatte, hatte sie Schwierigkeiten, ihre Bewegungen zu koordinieren. Als ihre Hand nach unten sank, fing sie an, den ganzen Arm von der Schulter an zu heben.
Regel Nummer eins für einen Kampf mit Pistolen? Bring eine Pistole mit. Regel Nummer eins für einen Kampf mit Messern …
Ich konnte davonrennen. Und übermorgen Jesse und meine Mutter begraben.
Wenn ich allerdings nicht davonrannte, musste ich näher ran. Außer meinem Körper hatte ich nichts, womit ich Jesse und Mom beschützen konnte, nur meinen Körper. Und wenn Coyote erst mal unten war, waren wir verloren. Egal, was passierte, ich musste sie aufhalten. Und zwar jetzt, bevor sie die Waffe hob.
Ich schnappte mir das Messer und rannte los.
Hinter mir hörte ich Jesse, der mir zubrüllte, dass ich stehen bleiben sollte. Coyote schob ihren verstümmelten rechten Arm unter ihre linke Hand, um sie zu stützen. Die Glock war nun in Schussposition. Eine Sekunde später stürzte ich mich mit gezücktem Messer auf Coyote.
Sie duckte sich, und das Messer schlitzte durch ihr Hemd. Dann packte sie mich und schlang ihre verletzten Arme um mich. Sie zerrte mich rückwärts auf das Geländer zu. Jesse schrie, ich schrie. Und schon ließ sich Coyote nach hinten über das Geländer fallen, und wir stürzten zusammen in die Tiefe.
Und stürzten auf das Malergerüst.
Ich schlug mit dem Rücken auf der wackligen Plattform aus Holz auf. Coyote landete auf mir. Ihre ungleichen Augen waren nur Zentimeter von meinen entfernt, ihr rechter Arm lag unter mir und drückte meinen linken Arm an meine Seite. Ihr linker Arm, mit dem sie die Glock umklammerte, drückte auf meine rechte Hand und klemmte das Messer ein. Ich kam nicht ran.
»Ihr habt mir mein Leben gestohlen«, sagte sie. »Damals. South Star, ich hab versucht, es aufzuhalten. Ich wollte es aufhalten. Ihr habt im Wind gestanden, das hab ich gewusst.«
Ich versuchte, meinen Arm freizukriegen. Es klappte nicht. Dann hob ich das Bein und trat gegen ihren gebrochenen Knöchel. Das war ein Fehler. Ihr tat es nicht weh, aber das Gerüst unter uns begann zu schwanken. Es war nur etwa einen Meter breit. Sechs Meter unter uns wartete schon der Boden auf uns.
»Ich bin zurückgerannt, aber es ist alles explodiert. Und ich bekam die volle Ladung ab. Und das ist aus mir geworden.«
Über ihre Schulter hinweg beobachtete ich, wie Jesse oben auf dem Zwischengeschoss seinen Arm auf das Geländer legte und aufzustehen versuchte. Er war mindestens zwei Meter von mir entfernt und konnte mich nicht erreichen. Das Gerüst schwankte noch immer. Coyote schlang die Beine um mich und die Plattform und presste sich an mich, als würde sie ein wildes Pferd ohne Sattel reiten.
Wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt verlor Coyotes Mund sein Grinsen. Ihre Lippen zitterten. Für einen Moment sah ich Kai Torrance vor mir, das Straßenkind, das seinen Kummer in sich hineinfraß, die Frau, die sich so sehr hasste, dass sie glaubte, keine Frau mehr zu sein. Das Ungeheuer, das nur noch dann Schmerz empfinden konnte, wenn es ihn anderen zufügte.
»Mein Leben«, flüsterte sie.
Sie stöhnte vor Anstrengung und hob ihren linken Arm. Sie hatte ihren Zeigefinger tief in den Abzugsbügel der Glock geschoben, damit sie einen sicheren Griff hatte.
»Du hast es mir gestohlen.«
Coyote richtete die Waffe auf mein Gesicht. Ich packte ihre Hand. Sie war immer noch stark, doch mit dem gebrochenen Arm konnte sie
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