Schmetterlinge im Gepaeck
brauchen.
Ich beschlieÃe, gleich damit anzufangen, wenn ich nach Hause komme. Es ist Freitag und ich muss ausnahmsweise nicht arbeiten. AuÃerdem spielen Amphetamine heute Abend in einem Club, in dem man unter einundzwanzig keinen Zutritt hat. Und ich werde mich nicht von Max hineinschleusen lassen.
Im Internet habe ich gelesen, dass man am besten mit der Unterwäsche beginnt.
Das Kostüm muss von innen nach auÃen gefertigt werden. Wenn ich also für das eigentliche Kleid Maà nehme, muss ich dabei die wuchtige Schnürbrust (ein Wort für Korsett aus dem achtzehnten Jahrhundert) und das riesige Panier (ein querovaler Reifrock, der von Marie und ihren Hofdamen getragen wurde) berücksichtigen.
Ich suche stundenlang nach Anleitungen dafür, wie man historisch korrekte Paniers anfertigt, und finde gar nichts. Wenn ich sie nicht aus Hula-Hoop-Reifen herstellen will, was für mich nicht infrage kommt, muss ich zur Bücherei fahren und tiefere Recherchen anstellen. Die Suche nach Schnürbrüsten verläuft erfolgreicher. Ich stoÃe auf eine erdrückende Menge von Schaubildern und Anleitungen, drucke mir mehrere Seiten aus, beginne, Maà zu nehmen und ein Schnittmuster anzufertigen.
Ich nähe jetzt seit drei Jahren und bin gar nicht so schlecht. Wie alle Leute habe ich mit einfachen Sachen angefangen â Umsäumen, ausgestellten Röcken, Kissenhüllen â, dann aber mit aufwendigeren, immer komplexeren Dingen weitergemacht. An einfach herzustellenden Dingen habe ich kein Interesse.
Ich möchte solche herstellen, die schön sind.
Ich vertiefe mich in den Arbeitsablauf: Schnittmuster auf Seidenpapier zeichnen, zusammenfügen, neu zeichnen und neu zusammenfügen. Wer selbst nicht näht, begreift meistens nicht, wie knifflig es ist, ein Kleidungsstück herzustellen, und Anfänger geben oft frustriert auf. Aber mir macht dieses Puzzeln SpaÃ. Wenn ich mir dieses Kleid als eine groÃe Sache vornähme, könnte ich es nicht bewältigen. Niemand könnte ein solch prachtvolles Gewand erschaffen. Aber indem ich es in winzige Einzelschritte aufteile, wird das Ziel für mich erreichbar.
Als es in meinem Zimmer schlieÃlich zu dunkel ist, muss ich vom Boden aufstehen und meine Lichterketten einstöpseln. Ich strecke meine verspannten Muskeln und werfe dabei einen Blick zum Fenster hinüber.
Ob er wohl dieses Wochenende nach Hause kommt?
Der Gedanke erfüllt mich mit Unbehagen. Ich verstehe nicht, warum er Andy und St. Clair über mich ausgefragt hat. Ich kann mir nur drei mögliche Gründe dafür vorstellen, von denen einer unwahrscheinlicher ist als der andere. Vielleicht findet er an der Uni keine Freunde und hat sich aus irgendeiner verdrehten Laune heraus überlegt, dass ich wieder einen passablen Kumpel abgeben würde. Ich meine, immerhin ist er schon die letzten beiden Wochenenden nach Hause gekommen. Offensichtlich ist niemand in Berkeley interessant genug, um ihn dort zu halten. Oder er hat ein schlechtes Gewissen, weil die Sache zwischen uns so übel zu Ende gegangen ist, und versucht, es wiedergutzumachen. Sein Gewissen zu erleichtern.
Oder aber ⦠er mag mich vielleicht. Auf die andere Weise.
Vor seiner Rückkehr ging es mir gut, ich kam ohne diese Komplikation super klar. Es wäre besser gewesen, wenn er mich einfach ignoriert hätte. Calliope und ich haben auch noch nicht miteinander geredet, also hätten Cricket und ich es auch nicht unbedingt tun müssen. Ohne es zu wollen gehe ich auf mein Fenster zu und stelle überrascht fest, dass gestreifte Vorhänge an seinem hängen.
Und dann geht bei ihm das Licht an.
Schnell ziehe ich meine Vorhänge zu. Mit klopfendem Herzen weiche ich rückwärts an die Wand zurück. Durch die Lücke zwischen den beiden Vorhängen beobachte ich, wie eine Silhouette, die unverkennbar Cricket Bell ist, zwei Taschen zu Boden wirft â eine Umhängetasche und einen Wäschebeutel. Er bewegt sich auf unsere Fenster zu und Angst befällt mich. Was, wenn er mich ruft?
Es wird plötzlich hell, als er seine Vorhänge zurückzieht. Sein Körper wandelt sich von einem dunklen Schatten zu einem Menschen aus Fleisch und Blut. Ich ziehe mich weiter zurück. Er bleibt stehen und zuckt zusammen, als eine weitere Gestalt das Zimmer betritt. Nur ganz leise höre ich die Stimme eines Mädchens. Calliope.
Ich kann mich nicht ewig verstecken.
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