Schmetterlinge im Gepaeck
Pakistan.«
»Gibtâs doch! Und ich bin eine!« Aber ich erinnere mich noch genau daran, wie mir das Blut ins Gesicht schoss, als sie später am selben Nachmittag zurückkamen und mir klar war, dass ich aufgeflogen war.
Calliope verschränkte die Arme. »Wir wissen Bescheid. Unsere Eltern haben uns die Wahrheit gesagt.«
»Hat deine Mom wirklich kein Zuhause?«, fragte Cricket. »Kannst du deshalb nicht bei ihr wohnen?«
Das war einer der schmachvollsten Augenblicke meiner Kindheit. Als meine Klassenkameraden zu fragen begannen, antwortete ich nur noch: »Ich weià nicht, wer sie ist. Ich bin ihr nie begegnet.« Es wurde eine ganz normale Adoptionsgeschichte. Eine langweilige. Zwei Väter zu haben ist hier kein Thema. Aber vor ein paar Jahren drehte Cricket sich plötzlich zu mir, als wir gerade fernsahen, und fragte: »Warum tust du so, als hättest du keine Mom?«
Ich wand mich innerlich. »Was?«
Cricket verbog die Büroklammer, mit der er gerade spielte, in eine verschlungene Form. »Ich meine, es geht ihr doch jetzt gut. Oder?« Er meinte damit, dass sie trocken war, und zwar schon seit einem Jahr. Aber sie war immer noch Norah.
Ich sah ihn einfach nur an.
Und ich merkte, dass er sich an die Vergangenheit erinnerte. Die Bells hatten jahrelang das Geschrei meiner leiblichen Mutter mitbekommen, wann immer sie sturzbetrunken und unangekündigt bei uns auftauchte.
Er senkte den Blick und lieà das Thema fallen.
Ich bin froh, dass Max meine Herkunft nicht stört. Sein Vater ist ein gemeiner Säufer, der in einer gefährlichen Gegend von Oakland wohnt, und wo seine Mutter lebt, weià er nicht mal. Wenn überhaupt stärkt Norah eher meine Beziehung zu Max. Wir verstehen einander.
Ich lasse Andy allein und gehe wieder nach oben. Durchs Fenster sehe ich, dass Calliope Crickets Zimmer verlassen hat. Nun geht er darin auf und ab. Mein zerrissenes Schnittmuster verspottet mich. Die prächtigen blassblauen Stoffe, die sich auf meinem Nähtisch stapeln, haben ihren Glanz verloren. Ich berühre sie sanft. Sie sind immer noch weich. Sie verheiÃen immer noch etwas Besseres.
Ich bin fest entschlossen, den gestrigen Abend wieder wettzumachen. »Heute dreht es alles ums Funkeln.«
Heavens to Betsy legt den Kopf schief und hört mir zu, aber versteht mich nicht. Ich platziere eine Strassspange in meiner hellrosa Perücke, zu der ich ein paillettenbesetztes Abschlussballkleid trage, das ich zu einem Minikleid gekürzt habe, eine Jeansjacke voller David-Bowie-Buttons und glitze rnde falsche Wimpern. Ich kraule Betsy hinter den Ohren und sie folgt mir aus meinem Zimmer. Auf der Treppe begegnen wir Andy, der gerade einen Korb frischer Wäsche raufträgt.
»Meine Augen!«, sagt er. »Dieser Glanz!«
» Très witzig.«
»Du siehst aus wie eine Diskokugel.«
Ich dränge mich lächelnd an ihm vorbei. »Das nehme ich als Kompliment.«
»Wann bringt Max dich nach Hause?«
»Später!«
Nathan wartet unten an der Treppe. »Wann, Dolores? Eine genaue Uhrzeit wäre hilfreich.«
»Dein Haar macht gerade eine Tolle.« Ich stelle meine Handtasche ab, um es glatt zu streichen. Nathan und ich haben die gleichen Haare â dick, mittelbraun und vorn eine seltsame Welle, die sich nicht bändigen lässt. Niemand hat je bezweifelt, dass Nathan und ich verwandt sind. Wir haben auÃerdem die gleichen groÃen braunen Augen und das gleiche kindliche Grinsen. Wenn wir überhaupt mal so grinsen. Andy ist schlanker als Nathan und trägt das früh ergraute Haar kurz geschnitten. Trotz der Haare und der neun Jahre, die er schon länger auf diesem Planeten ist, halten alle Andy für jünger, weil er immer lächelt und witzige T-Shirts trägt.
»Wann?«, wiederholt Nathan.
»Ãhm, in vier Stunden?«
»Das wäre dann halb sechs. Ich erwarte dich keine Minute später.«
Ich seufze. »Ja, Dad.«
»Und drei Kontrollanrufe.«
» Ja, Dad .« Ich weià nicht, was ich verbrochen habe, um die strengsten Eltern der Welt abgekriegt zu haben. Ich muss in einem früheren Leben echt schlimm und böse gewesen sein. Ich bin doch nicht wie Norah. Nathan ist erst nach Mitternacht nach Hause gekommen. Anscheinend hat der Vermieter das Schloss ausgewechselt, weil sie seit einer Weile die Miete nicht zahlt. Und sie hat einen Aufstand gemacht, indem sie ihr
Weitere Kostenlose Bücher