Schmetterlingsgeschichten - Chronik II - Rock 'n' Roll (German Edition)
weit entfernt. Es war die Sorge,
die sich vor seinem inneren Auge abzeichnete. Dabei kamen ihm vor Angst so
viele Erinnerungen wieder hoch.
Byrhtnoth
liebte seine Frau. Er liebte die Abende, wenn er mit ihr in den Sonnenuntergang
spazieren ging. Er liebte das Treiben ihrer lachenden Kinder. Byrhtnoth liebte
den Geruch seiner Gefährtin. Nie wieder würde er das wieder erleben. Da war er
sich sicher. Er liebte sie. Den Duft ihrer Haare, ihrer Haut, ihres Atems. Nie
wieder würde er das wahrnehmen dürfen. Er liebte ihre Stimme, wenn sie in den
langen Winternächten sang und dabei stickte. Wie gerne unterhielten sie sich
über die Dinge dieser Welt. Und jetzt hatte er das Gefühl, er hätte ihr nie
wirklich gesagt, wie sehr er sie liebte. Byrhtnoth atmete schwer durch. Er
liebte es, an einem rauen Wintermorgen mit ihr lange noch im Bett zu liegen.
Ihre nackten Körper zur zärtlichen Wärme aneinander geschmiegt. Wenn sie mit
ihren Füßen an seinen Beinen spielte. »Wir sind ‚One’«, sagte er. Er konnte ihr
und seinen Kindern nicht einmal Lebewohl sagen. Seine Kinder würde er nicht
aufwachsen sehen. Seine Tochter würde er nicht einem Mann zur Frau übergeben
können und seinem Sohn nicht den Umgang mit dem Schwert beibringen.
»Bitte
rette sie! Bitte!!«
Dann
schaute er kniend von unten zu Sir Virgil auf. Sein träne-gezeichnetes Gesicht
flehte ihn stumm an. Byrhtnoth schaute in das Gesicht eines Ritters… dessen
Augen blau leuchteten.
»Ich
werde sterben. Aber nicht ohne euch genug Zeit verschafft zu haben. Du wirst
sie retten?«
Die
Wikinger hatten in den Jahren zuvor schon genügend Frauen verschleppt. Noch
mehr mussten auch ernährt werden. Sie würden diese Frauen und Kinder nicht
mitnehmen. Dann blieb nur noch eine Sache, die die Gegner mit ihrer »Beute«
machen konnten - das wusste Sir Virgil aus trauriger Erfahrung.
Ein
Surren erfüllte jetzt die Luft. Es kam von der kleinen Insel.
Sir
Virgil hob die Hand.
Ein
Meer aus Pfeilen bewegte sich in hohem Bogen von der Insel zu der angelsächsischen
Truppe.
Für
jeden Außenstehenden war es nur eine starke Windböe… die Pfeile wurden einfach
magisch weggepustet.
»Du
rettest sie?«
Dort,
wo Byrhtnoth gekniet hatte, war das Wasser des Flusses Blackwater vorhin noch an
das Ufer getreten. Jetzt war es nicht mehr da. Die Ebbe hatte eingesetzt und
langsam zeichnete sich eine Furt ab. Sir Virgil hob seinen Freund an den
Schultern nach oben. Die Frauen und Kinder werden sterben. Sie werden keinen
Einfluss mehr mit ihren Nachkommen auf die Geschichte des Planeten Erde haben.
Sir Virgil würde den Verlauf der Geschichte der Erde verändern, wenn er so
einer großen Gruppe half. Denn er müsste ein ganzes Dorf retten in der Zeit, die
ihm noch verblieb - oder noch mehr. Hierbei handelte es sich nicht nur um einen
kleinen Eingriff, der per Rosenorden erlaubt gewesen wäre. Es lag keine
Bedrohung von außerhalb des Planeten vor. Wenn sie hier weiter lebten, würde er
fundamental eine Region beeinflussen. Allerdings nur… wenn sie hier weiterlebten. Hier auf dem Planeten Erde - es gab also nur eine logische Möglichkeit.
Dann
sagte er: »Je länger ihr kämpft, desto mehr eurer Lieben werden überleben.
Kämpft für eure Kinder. Kämpft für eure Frauen. Sie werden euch immer in ihrem Herzen
tragen«, befahl Sir Virgil of Camboricum, Ritter der Blauen Rose.
In
Sekundenschnelle durchflutete Byrhtnoth die Hoffnung. Aber gleichzeitig glühten
seine Augen vor Hass und Wut auf die Wikinger. »Ich werde euch Zeit
verschaffen!«
Plötzlich
fiel ihm noch was ein. Schnell nahm er seine Kette vom Hals mit einem kleinen Anhänger
daran. Es war ein bronzenes Efeublatt, das seine Frau ebenfalls als ein Zeichen
ihrer Liebe trug.
»Wir
haben es uns am Erntefest geschenkt. Ihr erster Kuss. Unsere erste Nacht. Wir
waren noch nicht verheiratet. Zeig ihr dies und wiederhole diese Worte für
deine Glaubwürdigkeit. Niemand weiß das. Dann wird sie dir glauben, und alle Frauen
und Kinder werden euch folgen.«
Byrhtnoth
umarmte seinen Freund und beide rannten los. Dabei pfiff Sir Virgil nach seinem
Pferd. Die Wikinger marschierten gerade auf der kleinen Furt los. Der Nebel lichtete
sich und die wahre Zahl ihrer Feinde kam an den Tag. Mit dem Bild seiner Frau
und den Kindern zog Byrhtnoth in die Schlacht…
Stephanus
verharrte an der Stelle. Er hörte wieder das Schnarchen aus seinem
Schlafzimmer. Dann las er kurz in seiner eigenen
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