Schmetterlingsgeschichten - Chronik II - Rock 'n' Roll (German Edition)
Namen ‚Provinz Britannia’ bekam« lag.
Stephanus hatte sich in den letzten Nächten dann doch öfter mit Sir Virgil
beschäftigt. Er war schließlich nur einer von tausenden damaligen Rittern
gewesen. Dass er nicht alle Geschichten ganz auswendig kannte, war deswegen
kein Wunder. Aber seine Taten lasen sich gut. Und er stand fast immer auf der
Siegerseite.
»Hatte Sir Virgil of Camboricum eigentlich auch mal verloren?«, fragte sich der
Chronist nachdenklich. Stephanus stellte das Töpfchen ab und ging zu den
Chroniken. Vage erinnerte er sich da an eine Schlacht, die nicht ganz so
glücklich verlaufen war. Stephanus musste nur fast 50 Jahre weiterblättern, als
er die entsprechende Stelle gefunden hatte. »Ja. Genau«, sagte er zu sich
selber und las das Kapitel laut vor:
...Es
war um das Jahr 991. Sir Virgil hatte es in den Osten nahe des Kanals der Insel
getrieben. Auch hier ging er wieder seiner Tätigkeit als bezahlter Söldner
nach. Allerdings hatte er seine Loyalität selber nicht wirklich verkauft. Sie
galt wie immer den Menschen, denen er sich verbunden fühlte, und dem Recht auf
Freiheit, das er auch mit dem Schwerte verteidigte. Nicht wirklich einem König,
oder welchen Titel sich der jeweilige Herrscher gerade gewählt hatte. Am Anfang
stand für ihn immer nur einer, der schneller als ein anderer gewesen war, und
der die Menschen durch irgendein Mittel unter sich gebunden hatte. Hier war es,
wie meist, Gold.
Man
hatte ihm auch ein Stück Land für seine Dienste geboten, doch was sollte er mit
Boden? Die Menschen hatten es sich hier schon aufgeteilt und in diesen Zeiten
war die Beständigkeit einer Region, unter der Führung ein und derselben Person,
eher von kürzerer Dauer.
Das
Land litt unter den Verwüstungen der Wikinger. Was gerade noch angelsächsisch
war, konnte morgen schon in einer anderen Hand liegen - oder auch andersrum.
Dazu kam halt, dass es »mehr« Land ja nicht gab. Also, wenn ihm welches gegeben
worden wäre, dann hätte es einem anderen ja auch genommen werden müssen.
Außerdem?
Wusste Sir Virgil, wo er in zehn Jahren war?
An
diesem Morgen wusste er zumindest, wo viele der Männer sein würden, die sich
gerade gegenüberstanden. Er hatte sich jetzt fast drei Jahre hier aufgehalten
und einige der Bauernfamilien lieb gewonnen.
Sie
arbeiteten hart und verdienten dabei nichts.
»Sir
Virgil? Könntet ihr mitkommen?«, fragte ihn Byrhtnoth, der Anführer der Angelsachsen
leicht nervös. Sie standen an dem Ufer des Flusses Blackwater in Essex. Vor
ihnen lag eine Insel, auf der die Wikinger gelandet waren. Durch den Nebel
konnten sie nicht ausmachen, wie viele sich dort aufhielten, doch konnten sie
ihre Stimmen hören…viele Stimmen.
Byrhtnoth
stand Schulter an Schulter mit Sir Virgil und drehte sich jetzt um. Seine
wenigen Männer mussten die Stimmen auch hören. Es war die Ungewissheit, die in
den Kämpfern etwas erzeugte. Als er in die Reihen schaute, sah er zweierlei in
einem: Furcht. Dies spaltete seine Männer in zwei Lager. Die einen waren die,
die wenig hatten.
Sie
waren die Treuesten - dessen konnte er sich sicher sein. Es waren die liebenden
Ehemänner und Väter. Sie hatten alle ein wenig Land, nicht viel, aber mehr als
die Generationen vor ihnen. Sie wussten, was mit ihren Frauen geschehen würde,
wenn sie hier verlieren würden. In diesen Tagen kamen die widerlichsten
Gräueltaten zum Vorschein. Wikinger vergewaltigten, brandschatzten und
mordeten. Oft genug waren Frauen nach einer Vergewaltigung schwanger geworden.
Allein der Gedanke daran, trieb diesen Männerschlag zur Wut. Die andere Hälfte
seiner wenigen Kämpfer hatte aus einem anderen Grund Angst. Meist waren sie
auch Ehemänner, aber hier ging es nicht um die Zukunft ihrer Familien. Man
konnte sich einfach eine neue Frau nehmen und Nachwuchs mit ihr zeugen. Nichts
war einfacher als das.
Hier
ging es ganz einfach um ihr eigenes Leben. Und warum sollte man es für die Frauen
und ihren Anführer riskieren?
Als
guter Anführer kannte Byrhtnoth die Männer, die in seinen Reihen standen. Und
gerade den Kämpfern vom zweiten Schlag hatte er in stillen Verhandlungen
wesentlich mehr Gold und Land bieten müssen, um sich ihre Unterstützung zu sichern.
Aber war es genug gewesen? Würde die Gier die Angst vor dem Verlust ihres
Lebens übertrumpfen?
So
schauten Byrhtnoth und Sir Virgil zu dem Unterhändler der Wikinger, der sich
ihnen auf einem kleinen Boot
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