Schmetterlingsgeschichten - Chronik III - One (German Edition)
»Prost«,
sagte die Mutter, die mit einem Honiglächeln und roten Wangen ihren eigenen
Humpen hob.
Als
wäre im Moment nur Sebastian existent, fing eines der Kinder wieder an: »Papa
und Mama sind Metalokogen«, sagte die Jüngste und wurde direkt von einer ihrer
Schwestern korrigiert.
»Metallogen
heißt das.«
»Sagte
ich doch. Und wir wollen das auch alle werden.«
Alle
Kinder strahlten ihn an.
»Das
ist mit Abstand eine der wichtigsten Arbeiten hier. Es gibt kaum was Besseres«,
prahlte die Kleinste jetzt stolz rum.
Sebastian
nahm den Krug und hob ihn. Sein Gewissen sagte ihm, er solle den Krug nicht heben
und einen Schluck probieren. Aber würde er es nicht machen, sagte eine Stimme
aus seinem Bauch, würde er die Frau kränken, und das wollte er auf gar keinen
Fall. Vorsichtig berührte er also den Rand mit seinen Lippen. Der Schaum war
weich und milchig. Leicht prickelte es. Aber es schmeckte nach Aprikose und
Pfirsich. Es schmeckte einfach wunderbar.
Sebastian
war ganz überrascht. Seine neue Erkenntnis war anscheinend deutlich in seinem
Gesicht abzulesen. Denn das vorher schon breite Grinsen der Mutter verbreiterte
sich um ein Mehrfaches, als sie seinen überraschten, durchaus zufriedenen
Gesichtsausdruck wahrnahm.
»Trink
so viel du willst, wir haben wirklich genug davon«, sagte sie und winkte ihm
mit dem Krug.
»Vater
sollte bald zurück sein. Doch er ist gerade mit den Schiffsingenieuren der
Lan-Dan unterwegs. Wir haben ein neues Modell entwickelt. Und es scheint, dass
wir uns alle übertroffen haben. So etwas hat noch nie jemand hergestellt. Und
wird es in den nächsten hundert Jahren auch nicht können.«
»Das
kann aber doch niemand. Das, was wir machen. Deswegen sind die Lan-Dan doch
auch unsere Freunde?«, fragte jetzt einer der Jungs seine Mutter.
»Ja,
Schatz. Das stimmt. Und deswegen geht es uns auch so gut. Wir und die Lan-Dan
erschaffen Dinge, die niemand sonst bauen kann«, sagte sie, ging zu ihm und
streichelte seinen Kopf.
»Ach
kommt. Ihr dürft auch alle ausnahmsweise einen Humpen nehmen, obwohl es noch
nicht fünf ist.«
»Juhuu,
Jippie«, brüllten die Kinder - und jetzt war der Fremde für kurze Zeit nur Nebensache.
Jedes der Kinder holte schnell seinen eigenen Krug, sie fasten wahrscheinlich
nur einen Liter, sie waren kleiner, und stellten sich an dem großen Fass an. Dabei
ließen ihre Kleinen den Hahn die ganze Zeit laufen und drückten einer nach dem
anderen seinen Humpen darunter. Der große Fleck, der sich dadurch auf dem Boden
aus Erde bildete, war der Mutter anscheinend völlig egal.
Sebastian
nutzte den Moment und schaute sich schnell weiter um.
Die
Küche hatte keine Fenster. Die Wände waren aus rauem Stein geschlagen, und auf
dem Fußboden lag richtige Erde. Es gab nur einen weiteren Raum. Die Türe stand
offen, und er konnte mehrere Hochbetten sehen. Ganze vier übereinander. Mit
Leitern verbunden.
Jetzt
musste Sebastian zwangsläufig an seine Mutter denken.
Sie
würde hier die Krise kriegen. Richtige Erde anstelle von einem Teppichboden,
Fliesen oder Laminat.
Er
musste leicht schmunzeln.
Und
wenn sie diese Sauerei jetzt gesehen hätte, dann wäre sie glatt in Ohnmacht
gefallen, oder hätte jedem einzelnen so ordentlich die Leviten gelesen, dass
man davon noch ein Jahr später in der Nachbarschaft gehört hätte.
»Ich
muss mal aufs Klo«, sagte jetzt die Kleinste mit gekreuzten Beinen an ihre
Mutter gerichtet.
»Dann
geh. Aber pass auf dich auf. Hörst du? Oder soll eine deiner Schwestern
mitkommen?«, erlaubte die Mutter den Toilettengang.
Eine
Erlaubnis, um auf das Klo zu gehen. Hier war doch nirgendwo ein weiterer Raum? Oder
hatte Sebastian etwas verpasst?
Die
Kleine schüttelte stolz den Kopf.
Um
zu zeigen, dass sie das schon alleine konnte, streckte sie den Rücken aus. Ganz
gerade, groß und erwachsen.
Schnell
zuckte sie wieder zusammen.
Mist,
sie musste wirklich sehr, sehr dringend.
Bis
zum allerletzten Moment vor dem ersten, irregeleiteten Tropfen abgewartet.
Nicht
vor dem neuen Familien-Freund Sebastian.
Wäre
ganz schön peinlich.
Allerhöchste
Eisenbahn, dass sie aufs Klo kam.
Sofort
verschränkte sie ihre Beine wieder und lächelte Sebastian trotzdem an. Dann
rannte sie, so gut sie in dem Blasendruckzustand konnte, zur Türe.
Der
Lärm, der beim Öffnen ins Zimmer strömte, kam dem mitten in einer Großstadt gleich.
Fast wie eine Welle, die einem unerwartet ins
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