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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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an der Bushaltestelle sind. Er zupft an seiner Bärenmütze.
    Mein Herz macht einen Sprung. Da will einer mit mir abhängen. Ein Junge will mit mir abhängen. Ich schaue prüfend in sein Gesicht, in seine Augen, um herauszufinden, ob er mich verarscht. Aber sein Gesichtsausdruck bleibt derselbe: Grübchenlächeln, große, verspielte blau-goldene Augen.
    In dem Moment, in dem ich den Blick von Flynt abwende und auf den Himmel richte, flattern sechs Amseln hintereinander vorbei – als hätte sie jemand genau in diesem Augenblick losgeschickt, um mich zu beruhigen. Fast lenkt mich das vom Zweck meiner Fahrt hierher ab, von Sapphires ermordetem Körper, dessen Anblick immer noch in meinem Kopf kreist – eine endlose Drehung, ein blutiges Karussell.
    Ich beschließe also, mich darauf einzulassen. «Das klingt okay», sage ich vorsichtig, und Flynts Lächeln wird noch breiter. «Also … wie finde ich diesen echt coolen Typen? Hat er ein Handy? Ein Fledermauszeichen? Einen speziellen Vogelruf?»
    «Das wäre schön», entgegnet er. «Aber er ist leider nicht mit dem Pfeif-Gen gesegnet, unglücklicherweise. Hör mal.» Er spitzt die Lippen und versucht zu pfeifen, aber es kommt nur ein Luftstrom heraus, ein bisschen Spucke und sonst nichts. Wir müssen beide lachen. «Leider besitzt er auch nichts von dem anderen noblen Technikkram. Ich bin ziemlich sicher, dass ich – ich meine, er ist ziemlich sicher –, dass er versucht, einen möglichst weiten Bogen um das Stromnetz zu machen, weißt du? Triff mich doch einfach – ich meine, ihn – an derselben Stelle. Vielleicht solltest du ihm deine Nummer geben, für den Fall, dass er zufällig auf eine Telefonzelle stößt. Sonst frag doch einfach herum. Irgendwer wird schon wissen, wo man ihn finden kann.» Er macht eine Pause und schaut mich an. Dann verbessert er sich, diesmal wirklich: «Wo man mich finden kann.»
    Der 96er wartet schon an der Haltestelle. Nervös und hastig kritzele ich meine Handynummer in ein Notizheft, das Flynt in seiner Tasche mit sich herumgetragen hat. Dann klopfe ich tip tip tip, Banane , aber so leise wie möglich. Meine Wangen brennen, und ich hoffe, dass er es nicht gehört oder bemerkt hat. Ich steige in den Bus und kaufe eine Fahrkarte. Durch das Busfenster sehe ich noch, wie Flynt in eine andere Einfahrt hineinschlüpft, wer weiß, wohin, den Reifen um den Hals wie einen herabgefallenen Heiligenschein.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 5
    Der Frühling kriecht langsam auf Cleveland zu, er frisst den alten Schnee, breitet sich in den Parks aus und entfacht in der High-School-Welt eine Art Wahnsinn. Nach dem Wochenende ist jede einzelne Wand in der Carver High mit Zetteln zugepflastert: BALL! BALL! BALL! NUR NOCH EIN MONAT BIS ZUM ABSCHLUSSBALL! Wähle dein Lieblingsmotto! Verrückte Dschungeldisco? Hip-Hop-Alice-im-Wunderland-Kaninchenbau? Weltall ?, darunter in kleinerer Schrift: EINTRITTSKARTE 25 DOLLAR. NUR FÜR KURZE ZEIT, SCHLEIMSCHEISSER. Und: WER WIRD BALLKÖNIG? Du entscheidest. Wähle deinen BALLHOFSTAAT heute! Der gesamte Naturwissenschaftsflügel – tapeziert mit Zetteln, die Annica Steele mit einem Glitzerkrönchen auf der perfekten Frisur zeigen, und nur ein einziges Wort darunter: Knaller.
    Nicht nur die Abschlussball-Zettel bedrängen mich von allen Seiten, sondern auch Jeremy. Er schafft es, sich am Montag in Englisch den Platz direkt neben mir zu sichern, und nach dem Mittagessen am Dienstag steckt er mir einen unordentlich gefalteten Zettel zu. Ich öffne ihn auf dem Klo, wo ich allein sein kann. Darauf steht: Lernen? Heut Abend? Ich werfe ihn weg, habe aber sofort ein schlechtes Gewissen und muss zwischen zerknüllten Papierhandtüchern und leeren Lipglosstuben nach ihm wühlen.
    Am Mittwoch werde ich unruhig. Ich muss ständig an Sapphire oder Flynt denken, den Jungen, der mich hübsch genannt hat. Ich kann es einfach nicht erwarten, an der Oberfläche der vielen Einzelheiten zu kratzen, die ich noch über ihre geheime versunkene Stadt herausfinden will. Statt den Bus zur Schule zu nehmen, springe ich in den 96er Bus – eine gute Zahl, zweiunddreißig Dreien  – und fahre bis zur Endstation. Früher habe ich nicht mal ans Schulschwänzen gedacht, so schlimm das ist – ich hatte einfach zu viel Angst. Aber plötzlich verstehe ich: Man wird furchtlos, wenn man wichtigere Dinge zu lösen hat als Vokabeltests und Grenzwerte. Ich finde die Müllcontainer wieder und hoffe, wie versprochen Flynt dort beim Stöbern

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