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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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«Warum schleichst du dich einfach so an und – du könntest ja ein …» Du könntest ja ein Mörder sein , sage ich beinahe, aber ich bringe es nicht heraus. Ich kann doch diesem Jungen mit der bescheuerten Bärenmütze nicht sagen, was ich gerade gedacht habe, was ich gedacht habe, dass er vorhatte.
    Er starrt mich angestrengt an, abschätzend. Dann verändert sich plötzlich seine ganze Haltung und sein Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. «Hey, Mann. Nicht schießen!» Er hebt die Hände hoch, als ob wir Räuber und Gendarm spielten und ich mit einer Spielzeugpistole auf sein Herz zielen würde. Er hat blaue Augen und zottelige Dreadlocks. Erstaunlich gute Zähne. «Nur eine einfache Frage. Erinnerst du dich an mich – Le Flohmarkt – gestern?» Er macht einen Kratzfuß und tut so, als ziehe er entschuldigend einen unsichtbaren Hut. Die echte Mütze mit den Bärenohren lässt er an Ort und Stelle.
    Ein Verrückter , denke ich, spreche es aber nicht aus. «Ich erinnere mich an dich», sage ich. Ich bin immer noch wütend. «Du hast mich angerempelt. Warum zum Teufel bist du so schnell gerannt?»
    «Oh, weißt du, ich wollte mir nur ein bisschen die Beine vertreten. Entschuldigung. Und wo könnte man besser ein schnelles Läufchen absolvieren als auf einem überfüllten Flohmarkt?» Er klingt ganz entspannt, aber seine Beine sind unruhig, er tritt von einem Fuß auf den anderen. Entweder muss er ganz dringend aufs Klo, oder irgendwas macht ihn nervös. «Ich hab dich von der Einfahrt aus gesehen und dachte, ich komm mal zu dir rüber und sage hallo.»
    Seine langen Dreadlocks sind stellenweise blond gefärbt, der Rest ist dunkelbraun, und jetzt sehe ich, dass seine Augen gleichzeitig blau und grün und golden schimmern, so wie die alten Murmeln, die Dad Oren und mir zum Spielen geschenkt hatte. Er trägt schmuddelige schwarze Hosen, wie ich, und große, derb wirkende braune Stiefel ohne Schnürsenkel, die Schuhzungen hängen lose heraus.
    Ich kneife meine Augen ein wenig zusammen, und er spricht hastig weiter: «Ich war gerade da drüben» – er macht eine Handbewegung zur anderen Seite des Hauses hin – «und habe ein bisschen Mülltonnentauchen nach Schätzen gemacht, und da hab ich so bei mir gedacht», er legt einen Finger an die Schläfe, «wenn dieses hübsche Mädchen gern auf den Flohmarkt geht und gruselige alte Dinge mag, möchte ich doch wetten, dass sie es zu schätzen weiß, wenn man sie mal ordentlich erschreckt. Und dann hat sie die seltene und fast unmögliche Gelegenheit, sich meine frisch erretteten Waren anzuschauen. Jetzt haben wir das Erschrecken hinter uns gebracht, nun folgt Teil deux.»
    Hübsches Mädchen. Er hat mich gerade hübsches Mädchen genannt. Das Wort versetzt mir einen elektrischen Schlag.
    Oder habe ich mich vielleicht verhört? Vielleicht habe ich ein Wort gehört, das nur so klingt wie hübsch.
    Er greift nach meiner heilen Hand und führt mich zu den Mülltonnen. Ich wehre mich nicht.
    Dieser Junge strahlt irgendetwas aus – etwas Helles und Großes und Offenes, etwas, das ich überhaupt nicht gewohnt bin –, und das zieht mich gegen meinen Willen an.
    Nein. Er hat es getan. Er hat mich hübsches Mädchen genannt.
    Hübsch bedeutet wie die Mädchen in der Schule mit ihren Föhnfrisuren und den passenden Kettchen mit Herzanhängern daran.
    Hübsch bedeutet normal.
    Er bleibt neben dem Müllcontainer stehen, bückt sich darüber und zieht etwas heraus. Er dreht sich zu mir herum und hält einen platten Reifen zwischen Daumen und Zeigefinger.
    «Du, äh, hast einen platten Reifen gefunden», sage ich. Ich habe keine Ahnung, welche Reaktion dieser Junge beim Anblick eines traurigen Stücks Gummi von mir erwartet, das er offenbar aus einem schmutzigen, stinkigen Müllcontainer gezogen hat, noch dazu in derselben Einfahrt, in der ich vor drei Tagen fast erschossen worden wäre. Nicht, dass er das wissen kann.
    «Oh, das habe ich tatsächlich», sagt er ganz ohne Ironie. «Hier, komm mal näher. Es sieht nach nicht viel aus, aber » – er wedelt wie ein Zauberer mit dem Reifen durch die Luft – «gleich siehst du, warum er überhaupt platt ist.»
    Ich weiß auch nicht, warum ich noch näher an diesen völlig fremden Jungen herantrete, aber ich tue es. Er hält mir den Reifen dicht vor die Nase und stülpt ihn um. In den Gummi haben sich Spiegelglassplitter gebohrt, die wie Sterne auf dem nachtschwarzen Gummi glitzern.
    «Wow. Das ist – das ist wirklich

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