Schmetterlingsjagd (German Edition)
habe noch nie etwas anderes als Mini-Bowling in einem großen klimatisierten Saal gespielt, wenn mich meine Mutter mal wieder auf einen Kindergeburtstag geschleppt hatte, als ich noch klein war.
«Jep. Einfach schleudern, so doll du kannst. Aber du musst ein Gefühl für den Stuhl kriegen und im richtigen Winkel zielen.» Er schwingt seine Arme durch die Luft, um es mir zu zeigen. «Es ist total schön, wenn man’s richtig macht.» Er lächelt schüchtern. «Aber fühl dich nicht unter Druck.»
Genau in dem Moment, in dem ich den Stuhl durch die Luft schleudern will, knallt irgendwo der Auspuff eines Autos, und ich erschrecke – immer noch nervös, immer noch dünnhäutig seit dem Schuss.
Mein Stuhl segelt schräg durch die Luft und zersplittert auf dem Boden, einen Meter von der perfekten Mülltonnenpyramide entfernt. Im selben Moment nimmt Flynt kurz Anlauf und wirft sich in die Mülltonnenwand. Sie stürzt mit einem ohrenbetäubenden Krach zusammen, er springt auf die Füße und läuft zu mir zurück.
«Wow! Lo! Du hast sie alle umgeworfen! Schau dir das an!» Er packt mich um die Taille, wirbelt mich herum, jubelt und versucht mich zum Mitmachen zu animieren. Mein Körper fühlt sich an wie Gummi, locker und unkontrolliert, und so schnell wie möglich winde ich mich aus Flynts Griff. Ich blicke an meinen Jackenärmeln herab und entdecke, dass sie mit Farbe beschmiert sind. Flynts bunte Handabdrücke – die Farbe, die er im Malatesta’s verwendet hat, muss noch feucht an seinen Händen gewesen sein. Ich kann genau sehen, wo er mich berührt hat: Schultern, Taille, die Handrücken. Und ich kann nicht anders, ich muss lächeln. Hoffentlich sieht Flynt nicht, wie rot meine Ohren werden.
«Ich habe den Stuhl kaputt gemacht. Ich kann das einfach nicht.»
«Und warum sind dann die ganzen Mülltonnen auf den Boden gefallen? Beantworte mir das mal, Lo!»
Er rennt zurück zu den Mülltonnen und kommt mit einem neuen Stuhl zurück. «Und wenn du den Stuhl kaputt gemacht hast, wieso ist er dann vollkommen heil?» Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. «He, was ist mit deiner Jacke passiert?»
Ich schaue zu ihm hoch. Seine Augen sind golden gesprenkelt. Ich tue unschuldig. «Was meinst du denn? Die sah doch schon immer so aus, Flynt.»
«Ach so, ja, natürlich. Sorry – die Sonne blendet so und täuscht meine Augen.»
«Und jetzt hör auf, mich von meiner Glückssträhne abzulenken.» Ich verenge meine Augen zu Schlitzen, presse die Lippen zusammen und gehe in die Knie in Kampfhaltung. «Stell diese Mülltonnen wieder auf. Ich hau sie noch mal um.»
Flynt baut wieder alles für mich auf. Ich hebe den neuen Stuhl über den Kopf – einen schlanken mahagonifarbenen, dem ein Bein fehlt –, schließe die Augen und schleudere ihn von mir. Ein wilder Krach, eine rumpelnde Explosion lässt mich die Augen wieder öffnen. Ich hab’s geschafft.
«Treffer!», schreit Flynt dramatisch, die Arme in den Himmel gereckt.
Jetzt kommt Wind auf und bläst mir die Ponysträhnen aus der Stirn. Die Mülltonnen rollen über den Schotter, ein schleifender Rhythmus. Wir hüpfen dazu in schlingernden Kreisen, Hand in Hand. Und dann realisiere ich plötzlich, dass sich unsere Hände berühren, lasse seine los und renne zum anderen Ende des Parkplatzes, um die Mülltonnen für ihn aufzubauen. Er wirft sie sauber um, ganz leicht, und wir tanzen wieder herum – zwei Menschen im Siegesrausch. Wir lachen.
Mit Flynt zusammen zu sein ist merkwürdig befreiend. Er ist anders als jeder, den ich bisher getroffen habe. Und dadurch fühle ich mich weniger durch und durch anormal, weniger fremd. Nie hätte ich gedacht, dass ein anderer Mensch, erst recht ein Junge, mir ein solches Gefühl geben könnte.
Ich weiß fast gar nichts über ihn, aber er wirkt so vertraut – als ob ich meine Fotoalben durchblättern könnte und er wäre auf jedem Foto. Wie er lächelt. Sich an Ästen entlanghangelt. Im Winter Schneemänner mit drei Armen baut.
«Okay», sagt er und zieht rote Fäustlinge aus seiner Manteltasche. Zettel und Stiftkappen und eine kleine blaue Plastikeule fallen auf den Boden. «Wie wär’s, wenn wir nun zum nächsten Teil unserer Tour übergingen?»
Ich nicke. Flynt stellt den Stuhl, den wir geworfen haben, zurück an seinen Platz neben den Mülltonnen, damit ihn die nächsten Mülltonnenbowler benutzen können.
Plötzlich spüre ich ein schmerzhaftes Ziehen in der Magengrube. Ich wünsche mir so sehr, dass Oren
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