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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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zu treffen.
    Stattdessen finde ich drei kleine übereinandergeklebte Zettel auf dem Müllcontainer, der am dichtesten an der Straße steht. In einer irren, schnörkeligen Schrift, kaum lesbar, steht auf jedem einzelnen (mit kleinen Abweichungen) dasselbe. Auf dem letzten steht:
Liebste Lo,
wenn ich nicht hier bin, dann deshalb, weil mich dunklere Mächte zu einem Ort beordert haben, den man hinter vorgehaltener Hand Malatesta’s nennt. Gehe zwei Blocks genau nach Norden und biege dann links in einen Weg ein, der mit roten Kreuzen markiert ist. Bewege dich unauffällig. Sei tapfer.
x Flynt
    Mein Herz flattert. Er hat mir Zettel dagelassen. Seit wir uns getroffen haben, jeden Tag einen. Ich befolge seine Anweisungen – die ganze Zeit habe ich Angst, dass er vielleicht gar nicht da ist oder dass ich mich auf dem Weg dorthin verirre oder dass sich das hier bloß als ein Scherz oder ein Streich entpuppt.
    Zum Glück finde ich den schmalen Durchgang, den Flynt in seiner Nachricht beschrieben hat – kaum sichtbare rote Markierungen, Graffiti-Totenschädel, die eine unheilverkündende Linie um die Betonmauern ziehen.
    Weiter unten erweitert sich der Durchgang zu einer Art Hof, und darauf steht ein Anbau in Form eines Ms, dessen Eingang schlampig schwarz lackiert ist. Tip tip tip, Banane , noch mal: tip tip tip, Banane , um ganz sicher zu sein. Vorsichtig trete ich ein. Drinnen stehen Tische und Stühle, alle offenbar aus dem Sperrmüll gerettet, unordentlich im Raum herum. Leute – gepierced, tätowiert, mit Irokesenfrisuren – sitzen oder hängen auf dem schmutzigen Boden herum und arbeiten an den verschiedensten Kunstwerken.
    Flynt hockt in einer Ecke und malt mit Händen und Ellenbogen auf einem riesigen Holzbrett, seine Stirn ist vor lauter Konzentration ganz zerfurcht. Jeder sichtbare Körperteil ist mit Farbe beschmiert.
    «Flynt?»
    Keiner schaut auf.
    «Flynt», sagte ich diesmal lauter.
    Ein Mädchen, das neben ihm sitzt, beugt sich zu ihm herüber und pustet ihm ins Ohr. Über ihre Wangenknochen hat sie sich Smaragde piercen lassen.
    «Hey, F», sagt sie, «du hast Besuch.»
    Er schaut hoch und lächelt mich an, seine Bärenohren aufmerksam aufgestellt. Ich glaube, er hat Farbe auf seinen Zähnen. Seine Augen sind jetzt von einem wilden Grün, die Wangen gerötet.
    «Lo! Du hast mich gefunden!» Er rappelt sich auf und wischt sich die Hände an seiner geflickten Jacke ab. «Lass mich nur eben den Kram wegpacken. Dann zeige ich dir die ganze geheimnisvolle Welt Neverlands.»
    Während er sich bückt, um das schwere Brett hochzuhieven, stellt er mich den Leuten vor: «Lo, das ist Seraphina – sie macht irre Perücken und eine Million andere Dinge. Aber es würde zu lange dauern, sie alle aufzuzählen –», das Mädchen mit den gepiercten Wangen nickt mir zu, «Marlow, der örtliche Marionettenmacher, Dichter, Revolutionär», ein magerer schwarzer Typ mit bunten Hosenträgern und einem halbrasierten Kopf schaut verwirrt hoch, «und Gretchen, die Meisterin der veganen Küche, Tänzerin und außergewöhnliche Illustratorin» – ein sehr groß gewachsenes Mädchen in einem Tutu, so breit wie ein Reifrock, und schweren schwarzen Schnürstiefeln knickst vor mir. «Die drei schmeißen im Grunde den Laden.»
    Ich ziehe die Jacke über dem inzwischen löchrigen Kaschmirpulli zu – Mom hat ihn mir in der siebten Klasse bei Gap gekauft – und winke schüchtern zu ihnen hinüber. Ich war nie gut in Kunst oder darin, das Innerste herauszukehren. Oren war der Künstler – der Zeichner, der Dichter mit einer Stimme wie Ahornsirup.
    Flynt dreht das riesige Brett in seinen Händen und schreit über seine Schulter: «Bin gleich wieder da!»
    Er verschwindet hinter einem Vorhang. In der Holzdecke des alten Lagerhauses zähle ich neun lose Bretter; die friedvolle Vollkommenheit der Zahl hüllt mich ein wie ein zweiter Mantel. Das wird ein guter Tag – jetzt kann ich es wirklich glauben. Seraphina, Marlow und Gretchen wenden sich wieder ihrer Arbeit zu. Ein paar Sekunden später taucht Flynt wieder auf, ohne Holz, aber genau so farbverschmiert wie vorher. «Gehen wir.»
    Er bietet mir seinen Arm. Und diesmal nehme ich ihn.
    ***
    «Also, einfach … werfen?» Ich hebe einen Stuhl hoch und mache mich bereit, ihn auf die Mülltonnenpyramide zu werfen, die Flynt auf einem verlassenen Parkplatz aufgebaut hat. Flynt bringt mir bei, wie man «Mülltonnenbowling» spielt, ein in Neverland offenbar verbreitetes Spiel. Ich

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