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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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bevor es zu spät ist ihn zu finden.
    Ich muss herausfinden, warum er gelogen hat.
    Tip tip tip, Banane. Fast alle Verkäufer packen schon ihre Waren zusammen, als ich komme.
    «Mario. Mario. Mario», sage ich laut und tippe im Takt der Silben auf meinen Schenkel. Dabei klimpern die Glöckchen in meiner Tasche. Neun. Ein gutes Zeichen, obwohl ich weiß, dass es schwierig wird, ihn hier zu finden, in diesem Labyrinth: Es sind zwar weniger Stände als samstags, aber immer noch hunderte, eine ungeordnete Masse von Tischen, Buden und Ständen, die mit Metallklemmen und Seilen zusammengehakt sind. Helle Laternen und Lichterketten hängen daran, und in der Nacht wirkt diese Landschaft sogar noch blendender, berauschender, diffuser und unmöglicher als am Tag. Ich drücke Sapphires Schmetterling in der Tasche. Hilf mir. Ich spüre, wie ihre Finger eine Sekunde lang meine berühren. Ich bin da , sagt sie.
    Ich irre durch die Gässchen zwischen den unordentlich aufgestellten Ständen; mir wird schwindelig, weil ich meine eigenen Regeln missachte. Ich sehe ihn nicht. Erneut tippe ich die Silben seines Namens auf meinen Schenkel – Ma-ri-o (Pause) Ma-ri-o (Pause) Ma-ri-o . Vielleicht hat er schon zusammengepackt und ist nach Hause gegangen. Vielleicht kommt er genau wie ich nur an Tagen, die drei Silben haben.
    Ich kann nicht weiter so durch diese Gässchen irren – alle sechs Schritte muss ich anhalten und erst mit der rechten, dann mit der linken Hand den Boden berühren. Ich versuche, den Kragen so weit hochzuschlagen, dass er mein Gesicht verbirgt, damit mich die Leute nicht sehen können. Sechs, sechs, neun. Sechs, sechs, neun, bis ich endlich zu der Stelle komme, wo ich Mario zum ersten Mal gesehen habe, wo er mir Sapphires Schmetterling als Schweigegeld gegeben hat, wo ich den Pferdchenanhänger eingesteckt habe, wo Flynt an mir vorbeigerannt ist und mich gegen Marios Tisch gestoßen hat.
    Ein stechender Schmerz durchzuckt mich, wenn ich an ihn denke.
    Ich berühre den Boden – rechts, links – und gehe zu dem Stand, wo Mario verkaufen sollte. Ein neuer Mann steht hinter dem Tisch. Er packt Schallplatten in Milchkisten. Sein Ziegenbart sieht aus wie viel zu steife Baumwolle. Er trägt eine dicke schwarze Brille und hat sich eine Fliege an den Kragen seines Hemdes geheftet.
    Ich räuspere mich. «Entschuldigen Sie bitte.» Ma-ri-o Ma-ri-o Ma-ri-o . Ich habe keine Zeit zu verlieren.
    Der neue Verkäufer schaut mich über seine Brillengläser hinweg an und lässt einen Arm voll Schallplatten auf den Tisch fallen. «Wir schließen schon. Aber ich nehme natürlich trotzdem noch dein Geld, wenn es das ist, was du wissen wolltest.» Er schenkt mir ein warmes Lächeln und packt weiter seine Waren ein.
    «Nein, ich frage mich nur …» Marios kirschrotes Haar fällt mir plötzlich wieder ein. «Ich versuche den Verkäufer zu finden, der letzten Samstag hier war – Mario.»
    Er denkt nach. «Meinst du Marty? Den großen haarigen Typen, der Baseballschläger verkauft?» Er zeigt mit dem Daumen nach links. «Der ist ungefähr zehn Stände weiter in die Richtung.»
    Ich schüttele den Kopf, öffne und schließe die Hände in den Taschen. Neun Mal. «Nein, nicht Marty. Mario. Gefärbtes rotes Haar? Er verkauft alten Schmuck und so.»
    «Hmm. Nein. Ich kenne niemanden, der Mario heißt. Aber ich bin auch nur alle zwei Wochen hier und samstags nie.» Er macht eine entschuldigende Grimasse. Ich atme jetzt schnell. Die Wolken treiben auseinander, und ich sehe einen Streifen rotgrauen Himmels. Sapphires Schmetterling wird warm in meiner Hand: Such weiter.
    Ich gehe das Gässchen entlang, an den Ständen vorbei, berühre den Boden, neun-neun-sechs , dabei unterbreche ich die Leute beim Einpacken, Plaudern, Rauchen, um immer wieder nach Mario zu fragen. Aber niemand weiß etwas. Einige Leute, wie der Plattenverkäufer, haben nie von ihm gehört, und andere sagen, dass er kein ständiger Verkäufer auf dem Flohmarkt gewesen sei – wenn sie sich überhaupt an ihn erinnern, dann nur daran, dass er seinen Stand vielleicht überhaupt nur drei Tage im Jahr aufbaute – und deshalb konnten sie ihn nie näher kennenlernen: wer er war, wo er lebte, was er sonst mit seiner Zeit anfing.
    Mir wird langsam übel. Eine ältere Frau, die gerade ihre Brillen einpackt, ruft mich zu sich.
    «Ich hab dich dahinten gehört», sagt sie. «Du suchst nach Mario, oder?»
    «Ja», sage ich. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Ma-ri-o, Ma-ri-o, Ma-ri-o.

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