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Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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aus ihr rauszukriegen. Sie starrte mich nur an und fing an zu weinen.« Tante
Ju zündete sich eine weitere Zigarette an, und der entstehende Geruch stach empfindlich
in Johns Nase. Es hatte ihn monatelange Mühen gekostet, mit dem Rauchen aufzuhören,
und solche Situationen waren nicht ganz einfach. Tante Ju wusste das – nur manchmal,
wie jetzt, vergaß sie es eben. »Kein Sterbenswörtchen war aus dem hübschen Persönchen
rauszubekommen«, erklärte sie und pustete geräuschvoll den Qualm in die ohnehin
schon schlechte Luft. »Armes Ding. Und so habe ich nach einer Weile aufgegeben und
bin gegangen.« Ein kurzer Seufzer. »Ja, ja. Die stumme Maja. Wirklich bemitleidenswert,
die Kleine.«
    »Die stumme
Maja?«, wiederholte John irritiert.
    »So nannten
wir sie«, entgegnete Tante Ju etwas ungeduldig, als hätte er nicht richtig aufgepasst.
    »Du bist
sicher, dass sie die Frau auf dem Foto ist?«
    »Sicher
bin ich sicher.«
    »Ich habe
dir doch gesagt, dass die Frau Felicitas Winter hieß.«
    Nun war
es an Tante Ju, irritiert zu sein. »Hast du das?«
    »Übrigens,
was heißt ›wir‹? Wer nannte sie die stumme Maja?«
    »Na, Thomas
und ich.«
    »Ihr habt
über sie geredet?«
    »Aber klar
doch, Johnny.« Sie legte einen Fuß auf das letzte freie Plätzchen der von Kaffeetassen,
Notizblöcken und Zeitungen überquellenden Schreibtischplatte. Was besonders komisch
aussah, da ihre Beine so auffallend kurz waren. »Die junge Frau hat mir den ganzen
Tag keine Ruhe gelassen. Und abends habe ich dann Thomas angerufen, extra wegen
ihr. Er hat gesagt, die Frau wäre von zweien seiner Kollegen in der Nähe des Hauptbahnhofs
aufgegriffen worden. Anscheinend hat sie sich irgendwie auffällig verhalten.«
    »Auffällig?«
    »Ja, sie
ist getorkelt, sank immer wieder in die Knie.«
    »Betrunken?«
    »Das dachten
unsere beiden Freunde von der Polizei auch. Sie nahmen sie mit, wollten sie verhören.
Aber genau wie später bei mir – sie hat den Mund nicht aufgekriegt. Außerdem machte
sie keinen betrunkenen Eindruck mehr. Sie wirkte eher, als wäre sie auf Drogen.
Beruhigungsmittel, was auch immer. Sie hat auch geweint. Die Ärmste.«
    »Keine Papiere?«,
mutmaßte John.
    »Nein, nichts.
Sie hatte nicht einmal eine Handtasche. Nur das, was sie am Leib trug.«
    »Und dann?«
    »Sie ist
eingeschlafen, einfach so, mitten im Verhör, auf dem Stuhl hockend. Nur um bald
wieder aufzuwachen, immer noch ziemlich verwirrt. Doch auf einmal …« Tante Ju machte
eine effektvolle Pause.
    »Doch auf
einmal?«, drängte John.
    »… redete
sie wenigstens.« Tante Jus Fuß rutschte vom Tisch.
    »Sie redete?
Warum nennst du sie dann die Stumme? Und warum Maja?«
    »Weil ihr
ganzer Sprachschatz aus exakt einem Wörtchen bestand.«
    »Und welches
Wörtchen war das?«
    »Natürlich
›Maja‹, du Sherlock Holmes. Was denn sonst? ›Maja‹, ›Maja‹, immer wieder hat sie
diesen Namen gesagt.«
    »Das muss
ja nicht ihr Name sein.«
    »Muss es
nicht, selbstverständlich nicht. Aber so, wie sie es sagte, gingen alle davon aus,
dass sie so hieß. Sie betonte das Wort, als könne es nur ihr Name sein. Immer wieder
sagte sie ›Maja‹, ›Maja‹. Leise, verängstigt, weiterhin völlig durcheinander.« Ein
schepperndes Auflachen. »Allerdings war sie wohl doch nicht so durcheinander, wie
alle annahmen.«
    »Wie meinst
du das?«
    »Sie ist
unseren Freunden entwischt.«
    »Und wie
hat sie das geschafft?«
    »Ach, ich
weiß nicht.« Tante Ju winkte ab. »Sie sah so aus, als würde sie schon wieder einschlafen.
Die Augen fielen ihr zu, ständiges Gähnen und so weiter. Thomas hat gesagt, sie
saß auf der Bank, auf der ich sie angetroffen hatte, und im nächsten Moment war
sie auf und davon. Verschwunden. Einfach so.«
    »Demnach
war nicht sie die Schlafmütze, sondern dein Thomas und seine Kollegen.«
    »Nicht Thomas«,
verteidigte Tante Ju ihren Neffen. »Er hatte ja mit der jungen Frau nichts zu tun,
sondern sich nur die Geschichte erzählen lassen.«
    »Und dann
hat man sie nicht mehr gesehen? Sie ist nie mehr auffällig geworden, wie du es so
schön umschrieben hast?«
    Tante Ju
mühte sich von Neuem damit ab, ihren Fuß auf dem Tisch zu platzieren. »Nie wieder,
Johnny.«
    »Du bist
wirklich sicher, dass sie die Frau auf …«
    »… dem Foto
ist«, unterbrach sie ihn. »Und ob ich das bin! Absolut sicher!«
    »Die stumme
Maja«, murmelte er unschlüssig.
    »Die Ärmste«,
bemerkte Tante Ju erneut und fixierte ihn. »Tja, so war das mit ihr. Ist eben

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