Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
Eigentlich hatte John den Vogel mitsamt
Käfig endlich in seine Wohnung verfrachten wollen, doch wieder einmal konnte er
sich letzten Endes nicht dazu aufraffen. Er holte sich einen Döner von Ali Baba,
seinem Lieblingstürken, um dann die Nacht auf der Liege im Nebenzimmer des Büros
zu verbringen, nur zwei Schritte von Elvis entfernt, dessen Käfig wie immer von
einer alten Decke abgeschirmt wurde, um der Blaustirnamazone zu einem möglichst
ungestörten Schlaf zu verhelfen.
John lag
lange wach, und ein weiteres Mal – warum auch immer – erfasste ihn so etwas wie
Zuversicht. Die Hoffnung auf den Glückstreffer. Mehr als vage, mehr als unbegründet.
Jedoch war sie da, er fühlte sie. Auch wenn Laura Winter mit diesem Fall ja eigentlich
kurzen Prozess gemacht hatte. Denk nicht mehr dran, riet er sich selbst. Oder willst
du ihr unbedingt etwas beweisen? Oder dir? Er versuchte sich abzulenken von diesen
Grübeleien und dachte an Blanca, er stellte sich ihr Lachen vor, ihre Stimme, er
glaubte, ihr Parfüm zu riechen. Ach ja, Blanca. Ein nettes Mädchen. Es war schon
einige Zeit her, dass sich ein paar Schmetterlinge in Johns Bauch verirrt hatten.
Sehr, sehr hübsches Mädchen. Auch die Studentin mit dem Pferdeschwanz fiel ihm plötzlich
ein, die Blondine, mit der er im Studentenwohnheim gesprochen hatte. Ebenfalls eine
durchaus anziehende Erscheinung. Wirklich, sagte er sich: Elvis als einziger Ansprechpartner
ist auf Dauer wohl doch etwas wenig.
Seine Gedanken
schlichen zurück zu dem erhofften Glückstreffer. Wie unglaublich es doch wäre, wenn
er Laura Winter vor ihrer Abreise noch irgendetwas bieten könnte, irgendeine Überraschung,
eine Erkenntnis über Felicitas’ Leben in Freiburg, einfach etwas, das sie ihm nicht
zugetraut hätte. Wenigstens ein kleines Erfolgserlebnis, wie gut würde ihm das tun.
Ja, die Spitzmaus. Was mochte ihm der Besuch dieser kleinen unscheinbaren Kneipe
morgen bringen? Gib nicht auf!, redete er sich ein, gib einfach nicht auf! Im Halbschlaf
nahm er erneut den unwiderstehlichen Parfümduft wahr, und endlich wurde ihm klar,
dass es nicht Blancas Duft war, sondern der von Laura Winter. Er schnupperte am
Kopfkissenbezug und sah sie vor sich, wie sie hier gelegen hatte, das attraktive,
fein geschnittene Gesicht endlich einmal völlig entspannt, mit geradezu sanftem
Ausdruck. Lauras Bild vor Augen und den Namen Spitzmaus auf den Lippen, schlief
John ein.
*
Über den Dingen zu stehen, konnte
ja hin und wieder ratsam sein. Manchmal brauchte man nur ein wenig Abstand, um eine
Idee oder einen rettenden Gedanken zu haben. Also stand John Dietz über den Dächern
der Stadt, die es ihm gerade so schwermachte. Vom Schlossberg, der sich aus östlicher
Richtung an die Häuser der Altstadt schmiegte, betrachtete er Freiburg seit einigen
zähflüssigen Minuten. Der Berg befand sich im Stadtgebiet und mithilfe gemauerter
Stufen konnte man seine etwa 450 Meter recht schnell ersteigen. Schon früher hatte
sich John häufig hier aufgehalten, vor allem dann, wenn er mal wieder an einem Scheideweg
seines Lebens angelangt war. Aber so etwas wie ein rettender Gedanke schien nicht
in Reichweite zu sein. Wie sollte es weitergehen mit ihm? Er hatte nicht die geringste
Ahnung.
Über den
sich herbstlich färbenden Bäumen erstrahlte der Himmel erneut in wunderbarem Blau.
Die Luft dieses Nachmittags war erfüllt von angenehmer Wärme, und allein ein paar
wenige, von der morgendlichen Kühle übrig gebliebene Nebelschwaden, die wie zu dünn
geratene Zuckerwatte aussahen, erinnerten daran, dass der Sommer vorüber war.
»Eine Ein-Mann-Privatdetektei
in Freiburg?«, hörte John schon wieder die halb verblüfften, halb belustigten Stimmen
jener Bekannten, denen er von seinem Plan erzählt hatte. »Echt? Das wird doch nie
was!«
Vor vier
Monaten hatte er angefangen, sein erster Tag in dem Büro mit Nebenraum, direkt nach
einem Kurs als Personenschützer und vielen Stunden im Schützenverein. Er hatte eine
Zulassung, eine Waffe, einen Computer, eine zusammengestückelte Ausbildung und jede
Menge Enthusiasmus. Doch leider im Moment keinen einzigen Klienten für ›Ermittlungen
jeder Art‹.
Bis auf
Laura Winter.
Ach nein,
die ja auch nicht mehr. Laura Winter befand sich wohl gerade auf dem Weg zum Hauptbahnhof.
Oder sie saß bereits in einem Abteil erster Klasse und scheuchte einen Bahnbediensteten
durch den Zug, um sich Kaffee bringen zu lassen. John schob die Hände in die Taschen
und versuchte seinen
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