Schmidts Einsicht
Culbertsons Regeln. Er hörte sich Trumpf ansagen und sein Gebot abgeben. Dann sprach sich herum, daß die Blutspendestelle schließe: Spenden würden nicht mehr angenommen. Der Grund dafür wurde in den folgenden Tagen klar. Fast niemand von den Verletzten hatte Transfusionen gebraucht, und für die wenigen überlebenden Brandopfer stand mehr als genug Plasma zur Verfügung.
Abends aß er in Mike Mansours Triplex-Appartement mit dem Finanzmagnaten und Caroline Canning. Als Mike anrief und erfuhr, daß Schmidt frei war, sagte er: Beim Essen werden wir beide nicht allein sein; Caroline kommt auch. Sie fuhr gestern abend hierher, um mit mir The Producers zu sehen – das Musical ist übrigens fabelhaft, und es ist fast unmöglich, an Karten zu kommen, aber wenn du willst, kann ich dir welche besorgen, pas de problème . Sehr zu empfehlen. Heute morgen wollte sie wieder nach Hause fahren, aber sie sitzt fest! Genau wie du und ich! Ich sage ihr Bescheid. Sie freut sich, wenn du kommst.
Allerdings: Ohne Anspielung auf das, was Schmidt wußte, machte sie deutlich, daß sie sich auf seine Diskretion verlasse. Sie gaben sich behaglich wie ein altes Ehepaar, sie und Mike. Das also waren die Freuden des Ehebruchs, die er, starrsinnig und vernagelt wie er war, überheblich von sich gewiesen hatte. Eine Woche zuvor war er aus Europa zurückgekommen, mit einem Direktflug aus Warschau. Wäre er gescheiter gewesen, hätte er einen Zwischenhalt in Paris einlegen können, mit Übernachtung in dem kleinen Appartement an der Rue de Bourgogne, das nach Mike Mansours Geschmack ein besserer Nistplatz für Schmidt war als das Hotel an der Place de la Concorde, und er hätte Alice das wunderbar gepflegte Empiremobiliar samt lit bateau , das wirklich breit genug für zwei war, vorführen können.
Davon wird sich das Land nicht so bald wieder erholen, sagte Caroline. Muslimische Terroristen, ein ausländischer Anschlag! Das ist ein gefundenes Fressen für Xenophobie und Rassenvorurteile. Und für den Verfolgungswahn amerikanischer Irrer: Leute wie Tim McVeigh, die Branch Davidianer, die Birch Society und die Bürgerwehr im Nordwesten. Ihr werdet sehen.
Pas de problème , die Frage ist, fügte Mike Mansour nickend hinzu, was Bush machen wird. Seine Regierung ist schwach. Er wird machen, was schwache Regierungen immer machen. Einen Krieg anfangen!
Sie warteten auf den nächsten Gang, und Mr. Mansours Faust ruhte auf dem Tisch. Caroline legte ihre Hand darüber und streichelte sie, zustimmend.
Was soll man tun, was meint ihr? fragte Schmidt.
Pas de problème . Die CIA und wen man sonst noch braucht, losschicken, ein paar Mossad-Agenten ausleihen, die Hintermänner finden, ihnen die Eier abschneiden, in den Mund stopfen und ihnen dann die Kehlen aufschlitzen. Die Fotos der Leichen ins Web stellen wäre auch ganz hübsch. Ha, ha, ha! Aber dafür ist diese Regierung zu dämlich und zu schwach. Pas de problème . Die sind auf einen zweiten Golfkrieg aus! Suchen sich einen leichten Sieg, den sie billig haben können!
Bist du auch dieser Meinung, Caroline, fragte Schmidt, du als Historikerin, die über die Rote Gefahr, die Angst vor den Roten in den zwanziger Jahren, geschrieben hat?
Sie holte tief Luft und streichelte weiter Mikes Hand.
Mike hat recht mit dem, was er über schwache Regierungen im allgemeinen sagt, und dies ist eine schwache Regierung. Wilson konnte nicht mehr klar denken, er war nicht mehr bei sich, als sein Generalbundesanwalt Mitchell Palmer die Razzien lostrat. Hätte Wilson das zugelassen, wenn sein Verstand nicht getrübt gewesen wäre? Ich bezweifle es. Bush und seine Leute, die stehen jetztunter Schock. Wenn die Menschen in seiner Umgebung erkennen, daß dies eine goldene Gelegenheit ist, jemanden in den Hintern zu treten, werden sie ihm die Idee mühelos verkaufen.
Du bist so klug, Caroline, brach es aus Schmidt heraus, ich bin so froh, daß ich heute abend mit euch zusammensein darf, ich bin dir und Mike so dankbar.
Sei ruhig, Schmidtie, sagte sie, die letzten Jahre waren schlimm für dich, und jetzt auch noch das! Wir müssen es aushalten, du mußt es aushalten, wir wollten dich heute nicht allein lassen. Wer weiß, was deiner Tochter erspart geblieben ist.
Seit Schmidt sich so unerwartete und seltsame Sorgen um den widerwärtigen Jon Riker gemacht hatte, fand er, daß er sich allmählich nicht mehr wie ein Schweinehund vorkommen müsse. Nein, eine vorübergehende Schwäche waren die Sorgen nicht gewesen.
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