Schmidts Einsicht
anderem als mir und den Kindern sah. Bruno hatte eine Mauer durchbrochen. Du weißt wahrscheinlich nicht, daß Tim und seine einzige Schwester nicht miteinander redeten, sie kam nicht einmal zu unserer Hochzeit. Und die Eltern, diese Höhlenmenschen, sind eiskalt. Das Haus in Maine nutzten wir so, daß wir einander nicht über den Weg liefen: Die Schwester ging im Juli, wir imAugust. Ob die Eltern da waren oder nicht, machte keinen Unterschied. Selbst wenn sie auftauchten, waren sie wie leblose Gegenstände. Wie Tim mit den anderen Anwälten in der Kanzlei umging, kannst du besser beurteilen als ich. Mir kam es so vor, als sei er immer heiter gewesen und voller Begeisterung für Leute, mit denen er gut arbeiten konnte – für dich und Lew Brenner zum Beispiel –, aber Freunde wurden sie deshalb nicht.
Schmidt gab ihr recht, und er merkte, daß ihn das Eingeständnis schmerzte. Ich hatte immer gehofft, es sei mehr, sagte er dann noch.
Du hast dich von dieser Heiterkeit blenden lassen – und von seinen unschlagbar guten Manieren. Den Kollegen, mit denen er in New York und DC als Assistent am Gericht arbeitete, ging es genauso und seinen Klassenkameraden in Yale und St. Paul’s auch. Lauter gute Laune und immer dieses Lachen. Und dahinter? Nichts. Ein Eisblock wie sein Vater und seine Mutter. Bruno taute ihn auf, er wurde ein richtiger Mensch, und dafür war ich dankbar. Auch mit den Kindern und mir ging Bruno wunderbar um. Ganz und gar aufmerksam, immer interessiert an dem, was wir dachten, was wir machten, und jederzeit bereit, auf all unsere Vorschläge einzugehen. Er war zum Rekognoszieren nach New York gekommen – so nannte er es – und erklärte uns beiden, es gebe fantastische Möglichkeiten, als Anlageberater für französisches Fluchtkapital tätig zu werden. Etliche Leute hatten Teile ihres Vermögens aus Frankreich herausgebracht oder große Geldsummen außerhalb Frankreichs versteckt, all dieses »Schattengeld« mußte investiert werden, und die USA waren der attraktivste Ort für Investitionen. Damit war nicht nur ein Bankier wie Bruno sehr gefragt, sondern auch – behauptete er – ein amerikanischer Anwalt, etwa Tim, vorausgesetzt, er operiere von Paris aus. Er müsse in Paris sein, um mitLeuten zu verhandeln, die dort waren und ihre Geschäfte nicht telefonisch abwickelten, und um lokale Gegebenheiten und Beschränkungen kennenzulernen. Im Grunde sagte er zu Tim: Laß dich in euer Pariser Büro versetzen, und ich öffne dir alle wichtigen Türen in Frankreich und der Schweiz, wo der größte Teil des Geldes geparkt wird. Ich glaube Bruno, sagte Tim. Dies ist eine Chance, die weder die Firma noch ich verpassen dürfen. Seine Einschätzung von Brunos Möglichkeiten war übrigens ganz richtig. Er vermittelte Tim ein paar fantastische Mandanten.
Schmidt nickte. Wie es zu Tims europäischen Transaktionen kam, hatte er zwar nicht gewußt, aber sie waren in ihrer Quantität und Qualität eindrucksvoll gewesen und bei Firmenessen regelmäßig kommentiert worden.
Du weißt, wie Tim war, fuhr Alice fort. Wenn er sich einmal entschlossen hatte, etwas zu tun, konnte ihn nichts aufhalten. Er brachte die Kanzlei dazu, Billy Higgs vorzeitig zurückzurufen. Kaum hatte ihm Dexter die Position zugesichert, ging er nach Paris, um unseren Umzug in die Wege zu leiten. Bruno zeigte ihm diese Wohnung, die seiner ein paar Monate zuvor verstorbenen Tante gehört hatte. Seine beiden Nichten wollten verkaufen, und Tim kaufte die Wohnung, ohne mich vorher zu fragen, ob ich kommen und sie erst einmal anschauen wolle. Sie ist komfortabel und gut für Einladungen geeignet, aber die Umgebung gefällt mir gar nicht. Die Wohnung meiner Eltern, die genau das gewesen wäre, was ich mir wünschte, war schon verkauft, aber Tim hätte sie vielleicht ohnehin nicht ernsthaft in Betracht gezogen, selbst wenn wir sie hätten haben können. Sie war ja nicht von Bruno empfohlen! Als es um die Schulen für die Kinder ging, habe ich mich durchgesetzt. Bruno hatte die Idee, die Kinder sollten in Privatschulen gehen, Sophie in eine Nonnenschule in der Nähe des Trocadéro, und Tommy zu den Jesuiten,weit entfernt am linken Seineufer. In diesem Punkt stimmte Tim mir zu: Katholische Schulen waren nichts für uns und außerdem zu weit weg von unserer Wohnung. Also schickten wir sie statt dessen auf eine staatliche Schule in unserer Nähe, und das hat sich bewährt.
Schmidt hatte schon ein Wort zugunsten der jesuitischen Erziehung auf der Zunge,
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