Schmidts Einsicht
–, als ob damit alles wieder in Ordnung wäre. Aber er sei nicht bereit, sich ins Exil einer abgelegenen juristischen Provinz zu begeben. Sam Warren und dem Partner, der vor ihm in Paris gewesen sei, mache das nichts aus, denn beide seien Anwälte ohne Mandanten und ohne jede Hoffnung auf Mandanten und dazu noch von Grund auf faul. Wenn die Klienten anderer Partner zufällig durch Paris kämen, seien diese beiden gern bereit, sie zu eleganten Essen auszuführen, ebenso gern machten sie sich im Umkreis der American Cathedral nützlich, und aus Sicht der Kanzlei sei das wahrscheinlich die beste Verwendung, die man für diese Partner finden konnte.
Schmidt nickte. Tim hatte in beiden Fällen recht.
Das weiß ich, und ich bin mir auch sicher, daß er mich nicht verletzen wollte. Er hat einfach gehofft, ich könne verstehen, daß es nicht vernünftig war, von ihm zu verlangen, sich nach meinen Wünschen zu richten. Nicht vernünftig, weil meine Mutter ohnehin bald sterben würde, ganz gleich, was ich tat, er dagegen seine Zukunft, dasheißt seine glänzende Karriere, langfristig planen müsse. So einfach war das. Er hatte nichts gegen Frankreich. Sein Französisch war sehr gut, und er besaß die kultivierte Höflichkeit, die Franzosen so schätzen. Aber seine Mandanten, seine Tätigkeit und seine Firma standen an erster Stelle. Dazu kam noch eine nie erwähnte andere Obsession, der Grund, warum wir nur einmal, in unseren Flitterwochen, zusammen nach Frankreich gefahren sind: das Haus seiner Familie auf Mount Desert. Er hatte eine große Slup im Yachtclub von Bar Harbor liegen, und in den Gewässern dort zu segeln, war für ihn das Paradies. Also mußte jeder August oder zumindest soviel Zeit des Monats, wie er vor den Mandanten und Partnern retten konnte, in Maine zugebracht werden. Ich konnte dann immer mal ein paar Tage lang in Paris bei meinen Eltern sein, allein oder, wenn meine Eltern dem gewachsen waren, mit den Kindern. Natürlich wollte ich, daß meine Eltern sie kennenlernten. Davon abgesehen, war mir Paris nicht so wichtig: Den Kontakt zu den meisten französischen Freunden hatte ich sowieso verloren. Radcliffe hatte das bewirkt und davor das Leben in Bonn, als mein Vater dort Botschafter war. Also fragte ich mich, was zu Tims Meinungsumschwung geführt hatte, warum er 1981 plötzlich entschied, er wolle so schnell wie möglich nach Paris ziehen. Es war seltsam, das mußt du zugeben. Für die Kinder war der Zeitpunkt schrecklich. Sophie war in der Brearley School und Tommy in St. Bernard’s. Beide fühlten sich wohl und wollten ihre Schulen und ihre Freunde nicht verlassen. Nur eine einzige große Veränderung hatte sich inzwischen ergeben: Mitterrand war 1981 Staatspräsident Frankreichs geworden, es gab eine sozialistische Mehrheit in der Nationalversammlung und ein sozialistisches Programm für Verstaatlichungen und Steuerreformen. Innerhalb kurzer Zeit beschlossen viele reiche französische bourgeois , Paris zuverlassen und in New York oder London als émigrés aufzutreten – wie die Aristokraten, die vor der Französischen Revolution davongelaufen waren. Plötzlich trafen wir in New York auf viele interessante Franzosen. Manche waren alte Freunde meiner Eltern, die uns selbstverständlich besuchten. Manche waren Leute, die mein Vater eigens zu Tim schickte, wenn sie fragten, ob er einen Rechtsanwalt in New York empfehlen könne, manche waren Freunde von Freunden. So trat Bruno Chardon, Partner in einer sehr eleganten französischen Privatbank, in unser Leben. Er war ungefähr so alt wie Tim, sehr attraktiv, sehr elegant, und verfügte über sehr gute Verbindungen. Er war wie ein anderer Tim, nur mit schwarzen Haaren und dunklen Augen und dem Olivton mediterraner Haut. Sie verstanden sich auf Anhieb. Es stellte sich heraus, daß auch Bruno ein leidenschaftlicher Segler war, und so ließ Tim sein Boot in jenem Herbst nach New York bringen. Er legte es bei City Island vor Anker, und die beiden gingen an den meisten Wochenenden segeln, mit den Kindern, wenn es nicht zu kalt war oder Sophie und Tommy zu Geburtstagspartys eingeladen waren oder etwas anderes in der Stadt vorhatten. Ab und an kam ich auch mit. Wenn das Wetter paßte und Tim Zeit hatte, waren sie auch mal ein ganzes Wochenende mit dem Boot unterwegs. Ich beschwerte mich nicht, weil mir klar wurde, daß ich Tim jetzt zum erstenmal mit einem wirklichen Freund erlebte. Mit Sicherheit das erste Mal, daß ich ihn in vertrautem Umgang mit jemand
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