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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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stand: Ich erwarte euch beide in der Bibliothek. Dann sagte ich dem Au-pair-Mädchen, wenn Tommy wach geworden sei, solle sie ihn beschäftigen, und wenn es Zeit für sein Abendbrot würde, mit ihm einen Imbiß nehmen und danach ins Kino gehen. Auf der Fahrtdurch die Stadt hatte ich gesehen, daß Star Wars auf dem Programm war. Danach setzte ich mich in die Bibliothek und versuchte, Zeitung zu lesen und die Bilder von Tim und Bruno zu verdrängen. Die Stunden zogen sich hin. Gegen sechs Uhr hörte ich ein Auto in der Einfahrt. Das war das Au-pair-Mädchen mit Tommy. Vielleicht eine halbe Stunde später kam die Köchin herein und meldete, sie habe eine kalte Mahlzeit vorbereitet, so daß sie jederzeit servieren könne. Ich sagte ihr, sie solle alles in der Küche aufbauen und sich den Abend frei nehmen; ich würde das Essen auf den Tisch stellen und später abdecken. Ja, ich räumte das Haus von Zeugen. Nicht meines Verbrechens – daß die Rollen vertauscht waren, konnte ich merken –, sondern meiner Beschämung. Endlich – es muß nach sieben gewesen sein – hörte ich sie auf der Treppe und dann in der Diele, und dann kamen sie ins Zimmer. Auch sie hatten geduscht. Jedenfalls hatten sie nasse Haare. Sie setzten sich, und Tim redete. Sie hätten geschlafen; es sei nicht so, daß sie die Konfrontation mit mir hätten vermeiden wollen. Aber beide flehten demütig um Verzeihung. Sie seien so vorsichtig gewesen, hätten so sehr versucht, diskret zu sein und unser Zusammenleben zu erhalten. Sie wüßten, es sei schrecklich für mich, daß ich sie ausgerechnet an diesem, dem denkbar schlimmsten Tag ertappt hatte, aber sie hofften, ich könne verstehen, daß sie nur vor Kummer und Verzweiflung den Kopf verloren hätten und einander in die Arme gesunken seien. An diesem Punkt schaltete Bruno sich ein und wiederholte alles Wort für Wort. Es war grotesk: die Zwillinge Tweedle Dum und Tweedle Dee. Willst du etwas Seltsames hören? Ich habe ihnen geglaubt, daß sie vor Kummer außer sich waren und daß ich es sonst nie herausgefunden hätte. Ich war so naiv, ich wußte so wenig von dieser Seite des Lebens, aber sie hatten sogar meinen Vater hinters Licht geführt, deralles andere als naiv ist. Dann sagte Tim, der Zeitpunkt sei zwar entsetzlich, aber im ganzen sei es vielleicht doch gut, daß ich alles erführe. Sie waren fast von Anfang an ein Liebespaar gewesen, und sie liebten einander wirklich. Ich fragte Tim, ob dies immer so gewesen sei, ob er schon gewußt habe, daß er homosexuell sei – ich benutzte diese Wort, weil ich mich nicht überwinden konnte, schwul zu sagen –, als er mit mir ausging und als er anfing, mit mir zu schlafen, und mir einen Heiratsantrag machte, und er sagte: Nein, damals nicht, es sei zwar bereits in seinem letzten Schuljahr ein Teil von ihm gewesen, aber er habe sich auch mit Mädchen verabredet, und als er zu W & K kam, habe er fest geglaubt, daß er sich genug geändert habe, um es mit mir ernst zu meinen. An der Stelle unterbrach ich ihn und fragte, ob er auch, als wir uns einig geworden seien, noch etwas mit Männern gehabt habe. Er zögerte und antwortete ganz langsam und vorsichtig, so als ginge er auf Eiern, gelegentlich sei es vorgekommen, im Büro habe es einen Burschen gegeben, mit dem er in Bars und Bäder gegangen sei, und nach Tommys Geburt sei es häufiger geworden, warum, wisse er wirklich nicht. Er wolle und könne nicht anders. So sei es eben. Ich hätte mich von ihm entfernt und sei so ganz und gar zur Mutter geworden. Das könne dazu beigetragen haben.
    Ich fühlte mich vollkommen ausgelaugt, leblos, aber weinen konnte ich nicht. Vielleicht lag es an Bruno. Daß er da war, erschien mir grauenhaft, obszön, und ich sagte zu Tim: Muß er hier sitzen? Schick ihn raus.
    Sie fingen beide gleichzeitig an zu reden, als hätten sie sich abgesprochen: Wir seien doch alle drei betroffen, Bruno habe Sophie geliebt und er liebe Tommy und mich auch und Tim und er hätten keine Geheimnisse voreinander. Ich war zu niedergeschlagen, ich konnte nicht protestieren. Und so fragte ich, im Wissen, daß ich mich wiederholteund daß die Frage dumm war, weil die Antwort auf der Hand lag, ich fragte, Verstehe ich richtig, daß du die ganze Zeit, als du Sex mit mir hattest, auch Sex mit Männern hattest? Wie konntest du? Tim erwiderte, er habe gern Sex und er habe mich gern, aber das andere brauche er wirklich. So wie er Bruno brauche und ohne ihn nicht leben könne. Hast du nie von

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