Schmidts Einsicht
Ehemännern gehört, die Affären haben, oder von Frauen mit Affären? Meinst du, diese Eheleute hätten keinen Sex miteinander? Ich schüttelte den Kopf. Aber natürlich wußte ich es. Doch, du weißt es, erwiderte Tim, denk nur an einige von unseren Freunden. Es ist immer dasselbe. Und was ist mit Bruno, fragte ich, habt ihr, du und er, jetzt, wo ihr zusammen seid, auch noch Sex mit anderen Männern? Wieder redeten und redeten sie alle beide. Alles in allem behaupteten sie, sie hätten gleich erkannt, daß sie ineinander verliebt waren – so drückte Bruno es aus –, und das sei ihnen am wichtigsten, deshalb seien sie jetzt monogam, einander treu. Viel später, als ich nicht mehr so naiv war, fragte ich sie, ob sie mich belögen. Nach allem, was ich gehört habe, ist Promiskuität die Regel. Zu diesem Thema sollte ich von beiden noch viel hören, alle möglichen Erklärungen, daß Schwulenliebe nicht ausschließlich sein müsse, weil sie den Körper feiere, und immer so weiter. Aber für eine Beziehung, wie sie sie hätten, gelte das nicht. Wie gesagt, all das kam später. Bei diesem ersten Gespräch hatte ich das Gefühl, ich sei krank oder vielleicht tot, jedenfalls war mir mehr und mehr so, als sei ich gar nicht da, als sei der Schauplatz anderswo, nicht am gleichen Ort wie ich, auch wenn ich noch zusehen und zuhören konnte. Nach einer ganzen Weile unterbrach ich die beiden und fragte Tim, was wir jetzt machen sollten, nachdem all das passiert war. Würden er und Bruno zuerst weggehen und mir, Tommy und dem Au-pair-Mädchen Zeit lassen, uns aufden Weg nach Paris oder vielleicht zu meinem Vater oder wohin auch immer zu machen? Oder würden sie uns zuerst gehen lassen? Und wieder hatten Tim und Bruno eine Antwort parat – sie waren schon wie diese Ehepaare, die alle Fragen zusammen beantworten, als wären sie beide gefragt worden, und immer »wir« statt »ich« sagen. In der Hauptsache erklärten sie, wir dürften Tommy nicht zumuten, noch jemanden zu verlieren, und seinetwegen müßten wir alle vier zusammenbleiben. Das können wir, versicherte mir Tim. Daß sie schwul waren, sollte nicht bekannt werden, das wollten sie nicht, aus allen möglichen Gründen wollten sie sich nicht dazu bekennen, sie würden es weiter geheimhalten, bitte, keine Scheidung, nicht einmal eine Trennung. Was ist mit ihm, fragte ich und zeigte auf Bruno. Hat er auch was dazu zu sagen? Er ist einverstanden, sagte Tim. Du weißt, daß er Tommy liebt. Aber soll er bei uns sein? hakte ich nach. Die Antwort war ja, wir könnten doch weitermachen wie bisher, so, als gehöre Bruno zur Familie. Tommy würde Bruno vermissen. Er und Bruno hätten einander sehr gern. An diesem Punkt kam Bruno mit seiner samtenen Baritonstimme zu Wort: Tommy bedeute ihm so viel, ich sei für ihn wie eine geliebte, bewunderte Schwester und uns sei ein kostbares Gleichgewicht gelungen. Er konnte sich so elegant ausdrücken, daß mir dabei zuerst gar nicht übel wurde. Das kam erst später. Aber ich sagte deutlich, daß ich Tim nicht mehr in meinem Schlafzimmer haben wollte. Mein Ehemann ließ sich dermaßen bereitwillig darauf ein, daß ich, so niedergeschlagen und elend ich auch war, trotzdem begriff, wie lächerlich ich mich damit gemacht hatte. Ich weiß nicht, wie die beiden sich das Lachen verbeißen konnten. Also packten wir unsere Sachen zusammen, mit Brunos Hilfe, als ob nichts geschehen wäre, und fuhren gemeinsam nach Paris. Im Rückblick erkenne ich, daß Sophie zu verlierenein Schlag für mich war, der mich betäubt hatte. Wäre ich nicht so benommen gewesen, hätte ich unmöglich dermaßen gespenstisch ruhig bleiben können, nachdem ich eines sonnigen Nachmittags einfach so herausgefunden hatte, daß Tim ein mieser Schwuler war, der Bruno und Gott weiß wie viele Männer noch – und welche Sorte Männer! – zuvor und seither gefickt hatte und dann in mein Bett gestiegen war. Wahrscheinlich trieb er es mit ihnen sogar, als er mich schwängerte.
Sie weinte und zitterte, vor Kälte, wie Schmidt meinte. Komm, wir gehen hinein, sagte er, es hat sich abgekühlt. Drinnen wirst du dich wohler fühlen. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zum Sofa, schloß die Glastür zur Terrasse und bestellte Kaffee, Petits Fours und zwei Gläser Kognak, etwas verlegen, weil er den Zimmerservice schon wieder bemühte.
Du machst mich betrunken, sagte sie verdrossen. Nein, ich betrinke mich, und ja, es macht mir nichts aus, und nein, dir macht es nichts aus. Ich
Weitere Kostenlose Bücher