Schmidts Einsicht
rede einfach weiter. Was, meinst du, ist schlimmer: zu entdecken, daß dein Mann mit allen möglichen Frauen schläft, deinen Freundinnen, seiner Sekretärin, dem Au-pair – Schmidt zuckte zusammen, als sie vom Schlafen mit dem Au-pair-Mädchen sprach, denn genau das hatte er getan und war von seiner Frau und seiner Tochter ertappt worden –, mit Callgirls und so weiter, oder zu entdecken, daß er eine Schwuchtel ist? Knaben in Schwulenbädern bumst! Sich von ihnen ficken läßt! Was meinst du?
Ich weiß nicht, antwortete er. Man sagt, es sei weniger verletzend, von Partnern verlassen zu werden, die entdecken, daß sie schwul oder lesbisch sind, weil das keine Konkurrenzsituation ist. Es ist mehr wie ein Fehler, den beide gemacht haben. Aber ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht ist es von Fall zu Fall verschieden.
Ich weiß es auch nicht, aber es war schrecklich. Liest du Balzac?
Er schüttelte den Kopf, korrigierte sich dann und sagte, im letzten Jahr Französischunterricht in der High School habe er Eugénie Grandet gelesen.
Das muß eine gute Schule gewesen sein. Ich weiß nicht, ob das heute noch gemacht wird. Ich denke, Cousine Bette ist wahrscheinlich sein bester Roman. Die Geschichte dreht sich um Baron Hulot, einen unverbesserlichen trousseur des jupons ; einen, der Frauen immer an die Wäsche geht. Seine Frau ist sehr schön und très sage – ein Muster an Tugend und Güte. Als Hulot völlig behext ist von einer entsetzlichen kleinen Frau, die mit einem besseren Angestellten seines Ministeriums verheiratet ist, und als sie ihn so viel Geld kostet, daß er damit die Familie ruiniert, fragt Madame Hulot, die ihren Mann immer noch liebt und unbedingt ihre Familie retten will, verzweifelt und ratlos: Was tun sie denn für die Männer, diese filles ? – diese Huren, würde man wohl sagen. Warum kann ich es nicht lernen, ganz gleich, was es ist? Ich will es für ihn tun, wenn ich ihn nur damit glücklich machen kann, wenn ich ihn nur halten kann! Es gelingt ihr nicht, sowenig wie es mir gelang. Was hätte ich für Tim tun müssen? Analsex? Das habe ich gemacht, obwohl ich es hasse. Aber jetzt bin ich überzeugt, daß er etwas anderes suchte, nicht den Weg in irgendeinen Anus, und daß weder ich noch eine andere Frau ihm geben konnte, was er brauchte. Er brauchte einen Mann. Das ist irgendwie anders, auch wenn die Mechanik die gleiche zu sein scheint. Mein Vater, der sehr weltläufig und weise ist und mich während dieser schrecklichen Zeit nie im Stich ließ, hat mir die Augen geöffnet. Er sagte, ich solle aufhören, mir Vorwürfe zu machen. Männer, die meinen, ihre Frau sei frigide, oder die aus einem anderen Grund den Sex mit ihr nicht mögen, würden sich nichtvon anderen Männern besseren Sex erhoffen. Nicht, wenn sie nicht homosexuell sind. Wenn heterosexuelle Männer unbefriedigt sind, treiben sie es mit anderen Frauen, wenn nötig, auch mit Callgirls.
Tim schwul! dachte Schmidt. Wie ganz und gar unwahrscheinlich. Er hatte nichts Weichliches, Geziertes an sich, nichts, das man mit dem Stereotyp in Verbindung brachte. Gab es damals noch andere Schwule in der Kanzlei? Dieser »Bursche«, den sie erwähnt hatte, den Tim in Schwulenbäder mitnahm, war der buchstäblich ein Laufbursche, oder war er ein anderer Anwalt? Ein Nachwuchsanwalt, denn zu der Zeit konnte doch wohl nicht von einem Partner die Rede sein! Überrascht und schockiert zu sein, daß es solche Dinge vor fünfundzwanzig Jahren gegeben hatte, dachte er, habe nichts mit der Firma W & K von heute zu tun: Er wußte von einem homosexuellen Partner (aber wußten es auch alle anderen in der Kanzlei?) und zwei oder drei angestellten Anwälten. Aber womöglich waren es noch viel mehr. Seit seiner Pensionierung war er nicht mehr auf dem laufenden. Klatschgeschichten hörte er nur auf den gelegentlichen Firmenfeiern, an denen er aus unangebrachtem Pflichtgefühl teilnahm, und manchmal von Lew Brenner und, ja, eine Informationsquelle war auch sein Schwiegersohn Jon Riker gewesen, bevor diese Zierde der Anwaltschaft sich gezwungenermaßen von der Kanzlei verabschiedet hatte und sein juristisches Talent anderswo einsetzen mußte. Aber damals, als Tim Mitarbeiter war? Im College hatte Schmidt verschwommen wahrgenommen, daß man sich über eine kleine Gruppe, nur eine Handvoll der Studenten aus seinem Jahrgang und andere Gleichaltrige, mokierte, weil sie schlaffe Weichlinge seien. Sie waren Trabanten einiger überhaupt nicht weichlicher Tutoren.
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