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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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verbrannte sie all das Essen und den Alkohol. Er hätte wetten können, daß an ihrem langen, grobknochigen Körper wenig Fett war. Ihr Gesicht gefiel ihm alles in allem. Schlicht, mit regelmäßigen Zügen und großen blaugrauen Augen. Ihr Haar war glatt und blond. Sie spürte, daß sie taxiert wurde, und fragte: Was meinen Sie? Nicht schlecht, oder? Hab ich die Prüfung bestanden?
    Mit Glanz und Gloria, antwortete er.
    Sie schüttelte den Kopf. Jetzt haben Sie mich zum erstenmal angesehen. Aber das ist in Ordnung. Als ich Ihnen erzählt habe, daß ich mir Sex verschaffen kann, hätte ich dazu sagen sollen, daß ich mich fast immer mit Amerikanern und Engländern einlasse, die für ein paar Tage nach Warschau kommen. Bei denen kann ich mir nichts holen, und sie verbreiten keine Gerüchte. Was halten Sie davon?
    Ich halte das für sehr vernünftig.
    Warum lädst du mich dann nicht ein, mit dir auf dein Zimmer zu gehen?
    Am nächsten Tag zerbrach sich Schmidt im Nachmittagsflugzeug nach Paris zum x-ten Mal den Kopf über eine Frage, auf die es offensichtlich keine Antwort gab. Was war in ihn gefahren, daß er das Ende des Nachmittags, weitgehend den Abend und die Nacht und auch noch den Samstag morgen im Bett mit Pani Danuta verbracht hatte? Ihre zupackende Art, alles in die Hand zu nehmen, hatte sie auch im Bett beibehalten, und in ihren Vorstellungen von dem, was man miteinander anstellen konnte, war sie noch weitherziger als Carrie gewesen. Beim Abendessen hatte sie sich über den jammervollen Zustand des polnischen Fernsehens ausgelassen – nur ein einziger Privatsender und der sei hoffnungslos vulgär und kommerziell, genauso schlecht wie der tschechische – und über den Präsidenten der polnischen Nationalbank, der vorher Finanzminister gewesen war. Sicher, er verstehe es, immer das Richtige über den Kapitalismus und die Kräfte des freien Marktes zu sagen, aber er sei ein Tartuffe. Schmidt in seiner Rolle als offizieller Sachverständiger für die Life Centers fand beide Themen hochinteressant; er wünschte sich, sie hätte während der Sitzungen in ihrem Büro genauso fesselnd darüber gesprochen.
    Er hatte den Plan gehabt, am Sonntag nach einer ganzen Reihe Wochenendbesprechungen mit dem scheinheiligen Bankier, dem Bürgermeister von Warschau und einem Schwarm weniger wichtiger Funktionäre einen Flug von Warschau nach Paris zu nehmen, der dort um neun Uhr abends ankam. Als Danuta jedoch am Samstagmorgen die Nachrichten las, die in der Stiftung eingetroffen waren, stellte sie fest, daß am Freitagnachmittag zu einer Zeit, da sie aus naheliegenden Gründen ihr Handy ausgeschaltet hatte und nicht erreichbar gewesen war, sämtliche Termine abgesagt worden waren. Die Entschuldigungen reichten von einer überraschend für die gleiche Zeit anberaumten Besprechung mit dem Präsidenten der Republik bis zu einer angeblichen heftigen Darmgrippe. Schmidt hatte kaum Zweifel, daß die meisten dieser Absagen auf das außergewöhnlich schöne Wetter zurückzuführen waren, und Danuta widersprach ihm nur schwach. Wie auch immer, eins stand fest: Da es keine Besprechungen gab, würde er mit dem ersten verfügbaren Flugzeug abreisen. Das war, wie sich herausstellte, eine Maschine, die am selben Abend um sieben in Paris landete. Er hatte mit Alice verabredet, daß sie sich am Montag, dem 15. Mai, treffen würden, das war das Datum, mit dem sie einverstanden gewesen war. Sollte er sie wissen lassen, daß er schon am Samstag eintreffen würde? Er hätte sie angerufen, gleich nachdem die Hotelrezeption ihm die Reservierung bestätigt hatte, wäre nicht Danuta, die gerade heißhungrig dick mit Butter und Honig bestrichene Brioches verschlang, in seinem Bett gewesen. Aber Danutas Anwesenheit war kaum zu leugnen und nicht zu übersehen; frisch gestärkt durch das Frühstück, ritt sie ihn schon wieder. Als sie zum Ende gekommen waren und sich gewaschen hatten, war es Zeit für das Mittagessen. Wie hätte er vermeiden können, sie dazu einzuladen? Aber dann wurde er energisch: Nein, sie könnten nicht wieder auf sein Zimmer gehen. Gegen ihre Einwände und Versicherungen, es bleibe noch viel Zeit, bis er zum Flughafen aufbrechen müsse, setzte er sie in ein Taxi und gab dem Fahrer Geld für die Fahrt.
    Dann hastete er in sein Zimmer und rief Alice an. Niemand da. Vielleicht ganz gut so. Hätte die Frage, ob er sie noch am selben Abend sehen könne, nicht etwas Ungeheuerliches und Schamloses gehabt? »Sie sehen«! Welch

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