Schmidts Einsicht
wärst jetzt hier. Ende April, Anfang Mai ist es hier so schön. Meine Forsythien waren nie üppiger, die Pfingstrosen werden bald blühen, die Dogwood-Bäume und die Magnolien sind herrlich. Könntest du nicht schnell mal ein langes Wochenende herüberkommen?
Jetzt? fragte sie. Das ist unmöglich. Und wir haben uns doch gerade gesehen.
Das tat weh, aber er ließ es sich nicht anmerken.
Um so mehr Grund, hierherzukommen, antwortete Schmidt, aber das Unmögliche können wir wohl nicht tun.
Als er das sagte, fiel ihm ein Ausdruck ein, den er im Französischunterricht in der Schule gelernt hatte. Um zu versichern, daß man sich alle Mühe geben werde, sage man: je ferai l’impossible , ich werde das Unmögliche tun. Französischunterricht war das eine, Alice zu umwerben etwas ganz anderes. Ohne eine Atempause fuhr er fort: Ich habe eine andere Idee. Ich muß mir meine osteuropäischen Schutzbefohlenen noch einmal ansehen, besonders daspolnische Büro, das ich noch nicht kenne. Wie wäre es, wenn ich am Wochenende vor dem 26. Mai nach Paris käme?
26. Mai, 26. Mai, wiederholte sie, oh, aber Donnerstag, der 25. Mai, ist Himmelfahrt. Von Mittwoch bis Montag ist dann in Frankreich alles geschlossen. Wir nennen das: pont , einen Brückentag, ein Extrageschenk. Ich habe eine Einladung von Freunden in St. Tropez angenommen. Ich will auch meinen Vater in Antibes kurz besuchen.
Ach, sagte Schmidt.
Warte, ich muß in meinem Kalender nachsehen. Ja, der Sonntag danach ist Pfingsten. Am Montag, dem 5. Juni, wird im Verlag nicht gearbeitet, meine ich. Wenn ich’s deichseln kann, bleibe ich das Wochenende über noch in St. Tropez.
Eine hohe Dosis Katholizismus, daran hatte Schmidt zu schlucken. Sie war Protestantin wie er. Warum waren diese Feiertage so wichtig? Dumme Frage. Weil Katholiken, Protestanten, Muslime wie Juden in gleicher Weise davon profitierten: Sie brauchten nicht ins Büro zu gehen! Es ging nicht um Religion an sich; die Frage, wie Mr. Mansour sagen würde, die Frage war, welche Pläne man machte, um Nutzen daraus zu ziehen. Offenkundig bot keiner von Alices Plänen Raum für ihn, nicht einmal in einer Nebenrolle. Nein, es hatte keinen Sinn, gegen das Rathaus oder schattenhafte Freunde mit Häusern in St. Cloud oder St. Tropez anzukämpfen.
Ich habe noch eine Idee, sagte er. Vielleicht ist die brauchbarer. Wie wäre es, wenn ich dich um den 15. Mai besuchen würde?
Alices Kalender wurde noch einmal befragt.
Das wäre schön, Schmidtie, mein Lieber. Und es ist eher!
Dann fragte sie nach Oklahoma City und ob es stimme, daß die Attentäter wieder die Muslime gewesen seien, dieversucht hatten, das World Trade Center in die Luft zu jagen, und er erklärte ihr, daß im Augenblick noch niemand Näheres wisse.
Sie brachten die Pizzas mit, die Carrie so gern aß und an deren Genuß sie Schmidt gewöhnt hatte, dazu eine Schüssel Spinat- und Ruccolasalat und eine Apfeltorte, von Sesame, wie sie sagte. Schmidt stieg in den Keller hinab und holte zwei Flaschen Chianti. Das Essen sollte in der Küche stattfinden, sah er, also in der Tradition, die noch aus der Zeit stammte, als er zum erstenmal mit Carrie in seinem Haus zu Abend gegessen hatte. Er überließ es ihr, den Tisch zu decken. Es war auch ihr Brauch, das Tischtuch, Servietten, Silber, Porzellan und Gläser, alles vom Besten, zu benutzen, obwohl sie nicht im Eßzimmer aßen. Sie wußte natürlich noch, wo alles zu finden war. Es hätte ihr Haus sein können, dachte Schmidt.
Carrie blieb bei ihrem Mineralwasser, das sie aus einem Glas trank, ein Zugeständnis, das Schmidt nicht entging. Er schenkte Gin und Tonic für Jason und Bryan ein, schwankte für sich zwischen Gin-Martini und Bourbon, entschied sich für einen Martini, mischte ihn sorgfältig und setzte sich in seinen Schaukelstuhl. Er konnte die Augen nicht von Carrie lassen. So schwanger! So schön! Ihr Bauch zeichnete sich deutlich ab – das Trikot, das sie trug, betonte den herrlichen runden Hügel. Und die anderen Wölbungen, die goldenen Äpfel, die ihre Brüste waren. Alle drei Männer in dieser Küche hatten sie geliebt, in seinem Fall wild und schrankenlos: Er hatte Mund, Vagina und Anus mit gleicher Freiheit erforscht. Kein Grund, anzunehmen, daß Bryan und Jason weniger begünstigt worden waren. Jetzt nahmen die drei vormaligen Mieter von Carries Körper, einer, der ihr immer noch beiwohnte, und zwei Hinausgeworfene, ihre Pizza in Angriff, tranken friedlich ihren Wein und freuten sich
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