Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
Hain genervt.
»Aber wenn Sie wollen, können Sie gern eine Anzeige schreiben.«
»Heini hat das Klappmesser unter die Lupe
genommen, während du unterwegs warst«, informierte Lenz seinen Kollegen ein
paar Minuten später, als sie mit einem Plastikbecher Kaffee in der Hand, den
eine Kollegin besorgt hatte, etwas abseits standen. »Es war sauber, im wahrsten
Sinne des Wortes. Krug sagt, er habe es bei sich gehabt, weil ihm nachts im
Feld manchmal komische Typen begegnet seien. Landstreicher und so.«
»Was für eine krude Geschichte«, erwiderte Hain nach einer
längeren Pause. »Und was für ein Glück, dass die Kollegen da drüben, speziell
der eine, nicht an seinem Alibi interessiert sind.«
»Hat niemand sich beschwert, dass er wieder auf freiem Fuß
ist?«
»Doch, einer. Ich habe ihm geraten, eine Anzeige zu
schreiben, weil Krug abgehauen und dabei dem Kollegen die Hose kaputt gegangen
ist, aber ich glaube nicht, dass da was kommen wird. Dazu sind wir alle doch
viel zu sehr Menschen, mit all ihren Vor- und Nachteilen.«
Lenz nickte. »Wie war die Frau so?«
»Ein Mäuschen, angesichts dessen ich weder den einen noch den
anderen verstehen kann, was er an ihr findet. Aber glücklicherweise sind die
Geschmäcker ja ebenso verschieden wie die Auswahl an Menschen.«
Er gähnte. »Nach meinem Gusto wäre sie jedenfalls nicht.«
»Apropos Gusto«, gab Lenz mit weit aufgerissenem Mund zurück,
vom Gähnen seines Kollegen angesteckt. »Was war das denn vorhin für ein Spruch,
als wir hier angekommen sind? Du willst Vater werden?«
»Was wäre daran so schlimm?«
»Oh, gar nichts, absolut nichts«, wiegelte der Hauptkommissar
ab. »Es kommt nur ein bisschen überraschend.«
»Vielleicht für dich, aber nicht für Carla und mich. Wir sind
uns einig, dass wir zusammenbleiben wollen, also ist ein Kind doch nichts
Ungewöhnliches.«
»Das garantiert nicht. Und ich freue mich auch für euch, ganz
ehrlich.«
»Vielleicht muss deine Freude noch ein paar Monate länger
warten, weil mein Beruf es mit sich bringt, dass ich die besonderen Momente
manchmal an irgendwelchen gruseligen Tatorten verbringen muss.«
Lenz sah auf die Uhr. »Viertel vor fünf. Wie es ausschaut,
brauchen Heini und seine Jungs noch eine Weile. Fahr halt nach Hause, dusch dich,
und leg dich wieder ins Bett.«
»Ist das dein Ernst?«
»Sehe ich aus, als würde ich in so einer Angelegenheit
Scherze machen?«
»Und du?«
»Ich mach es genauso. Hier können wir im Augenblick absolut
nichts tun, also.«
»Dann hab ich wenigstens den Vorteil, dass in meinem Bett
jemand auf mich wartet«, feixte Hain.
»Wer sagt dir denn«, grinste Lenz seinen jungen Kollegen an,
»dass es bei mir nicht genauso ist?«
Hain vergewisserte sich, dass niemand in Hörweite der beiden
war, bevor er weitersprach. »Weil ich es für ziemlich ausgeschlossen halte,
dass die Ehefrau des Kasseler Oberbürgermeisters in deinem Bett liegt.«
Lenz hatte seinen Kollegen etwa ein halbes Jahr zuvor in
seine Liaison mit Maria eingeweiht. Er kratzte sich deutlich hörbar am Kinn.
»Hier irrt der Fachmann. Sie ist tatsächlich bei mir zu Hause und wartet auf
mich. Und wenn alles so läuft, wie wir es vor ein paar Stunden besprochen
haben, stehen ihr und mir ziemlich turbulente Zeiten bevor.«
Hain legte den Kopf schief und machte dabei ein besorgtes
Gesicht. »Heißt das, sie will ihn …«
»Exakt das heißt es.«
»Oh mein Gott«, entfuhr es dem Oberkommissar nach
einer kleinen Pause der Erkenntnis. »Dann liegt wirklich eine turbulente Zeit
vor euch. Und ich sitze erste Reihe Mitte.«
»Du glaubst doch nicht …«
Weiter kam Lenz nicht, denn von hinten näherte sich ein
Uniformierter. Es war der Mann, auf den Roman Krug gedeutet hatte.
»Ich habe Sie schon gesucht. Mein Kollege und ich haben alle
Nachbarn befragt, aber niemand hat irgendetwas gesehen oder gehört.«
»Gut gemacht, Herr …«
»Bade. Ralf Bade«, erklärte er mit einem Fingerzeig auf seine
breite Brust, doch es war noch zu dunkel, um den Namen darauf zu erkennen.
»Danke, Herr Bade.«
Der junge Streifenpolizist nickte und entfernte sich.
»Dass er Bade heißt, hätte ich dir auch sagen können«, flüsterte
Hain.
»Ich weiß«, erwiderte Lenz ebenso leise.
»Ihr seid ja immer noch hier«, rief ihnen ein
erstaunter Heini Kostkamp entgegen, der mit einer Zigarette in der Hand vor dem
Haus stand. In dem weißen Overall, der wegen seines mächtigen
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