Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
und meldete sich. Ohne ein weiteres Wort gesagt zu haben, drückte er
ein paar Sekunden später die rote Taste an dem kleinen Gerät. Wagner sah ihn
erwartungsvoll an.
»Es geht wohl schon los«, erklärte der Hauptkommissar seinem
Freund. »Das war die Sekretärin des Polizeipräsidenten. Ich soll mich umgehend
bei ihm einfinden.«
Dr. Bartholdy, Lenz’ Dienstherr im
Polizeipräsidium, empfing den Leiter von K11 hinter seinem großen Schreibtisch
sitzend. Mit einer kurzen Geste und ohne Begrüßung bedeutete er ihm, sich zu
setzen.
»Sie können sich sicher vorstellen, warum ich Sie zu mir
zitiert habe, Herr Hauptkommissar?«, begann der Mann, dem beste Kontakte zur
und Ambitionen in der Kasseler Politik nachgesagt wurden. Lenz zog sich einen
der beiden Stühle vor dem Schreibtisch zurecht und nahm Platz.
»Offen gestanden, nein«, erwiderte er ruhig.
Bartholdy holte tief Luft und schluckte. Es fiel ihm
sichtlich schwer, die Contenance zu wahren. »Und da sind Sie sich ganz sicher?«
»Absolut, ja.«
Der Polizeipräsident schloss für ein paar Sekunden die Augen,
um Lenz danach eindringlich zu mustern. »Kennen Sie die Frau unseres
Oberbürgermeisters, Herr Kommissar?«, fragte er scheinheilig.
»Ich bin relativ sicher, dass Sie die Antwort auf diese Frage
wissen. Also bemühe ich mich erst gar nicht, Ihnen etwas vorzumachen«, gab Lenz
milde lächelnd zurück.
»Heißt das, Sie haben tatsächlich ein Verhältnis mit Frau
Zeislinger?«
»Das ist meine Privatsache, Herr Dr. Bartholdy. Bei allem
gebotenen Respekt muss ich darum bitten, dass mein wie auch immer geartetes Verhältnis
zu Frau Zeislinger …«
»Gar nichts ist
Ihre Privatsache«, brüllte Bartholdy und schlug dabei mit der Faust auf die
Schreibtischplatte. »Gar nichts. Sie sind Beamter des Landes Hessen und
unterliegen daher einer besonderen Verpflichtung Ihrem Dienstherren gegenüber.«
»Ich kann nicht erkennen, in irgendeiner Art gegen meine
dienstrechtlichen Verpflichtungen verstoßen zu haben«, erwiderte Lenz kühl.
Dr. Bartholdy hob sein Gesäß ein paar Zentimeter
aus seinem Stuhl und kam dem Hauptkommissar dabei ein wenig näher. »Und ob Sie
das haben, Lenz, und ob. Ich weiß noch nicht genau, wie ich Sie für das, was
Sie unserem Oberbürgermeister angetan haben, dienstrechtlich belangen kann,
aber Sie können sicher sein, dass mir dazu etwas einfallen wird.« Er holte kurz
Luft. »Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder kleine Polizist dem OB die Frau
ausspannen wollte?«
»Es war ganz bestimmt nicht meine Absicht, Herrn …«
»Hören Sie mit Ihren vorgeschobenen Entschuldigungen auf«,
wurde er von Bartholdy barsch unterbrochen, »und sehen Sie zu, wie Sie die
Sache wieder geraderücken, ohne dass noch mehr Porzellan zerschlagen wird.«
»Wie darf ich diesen Vorschlag verstehen?«
»Die Frau soll wieder nach Hause gehen. Bis jetzt ist diese
ganze unappetitliche Sache noch nicht so eskaliert, als dass es keine
einvernehmliche Lösung zwischen dem OB und seiner Gattin geben könnte.«
Die Gesichtszüge des Polizeipräsidenten entspannten sich ein
wenig. »Beenden Sie einfach die Sache, Lenz, den Rest wird die Zeit richten«,
riet er seinem Hauptkommissar nun in fast väterlichem Tonfall.
»War das alles, Herr Dr. Bartholdy?«, fragte Lenz und stand
dabei auf.
»Darf ich das als Zustimmung werten?«
Der Hauptkommissar schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich
muss Sie enttäuschen. ›Die Sache‹, wie Sie es nennen, verdient wesentlich mehr
als eine Regulierung von oben.«
Bartholdy machte ein trauriges Gesicht. »Setzen Sie sich,
Lenz. Bitte.«
Lenz trat wieder vor den Stuhl und nahm erneut Platz.
»Ich bin doch auch kein Kind von Traurigkeit. Sie müssen
nicht denken, dass mir etwas Derartiges noch nie passiert wäre, ganz bestimmt
nicht. Natürlich weiß meine Frau nichts davon, aber ich kann Ihnen sagen …« Er
deutete mit der Zunge ein Lecken über die Lippen an. »Aber mit der Frau des OB,
ich bitte Sie. Sie hatten vermutlich Ihren Spaß zusammen, den will ich Ihnen ja
auch gar nicht nehmen, aber ich muss Sie gleichzeitig warnen. Erich Zeislinger
hat Freunde, einflussreiche Freunde. Seien Sie kein Idiot, Lenz, und schicken
Sie die Frau nach Hause, sonst kann das ein böses Ende nehmen für Sie.«
Der Hauptkommissar dachte für den Bruchteil einer Sekunde
daran, einfach aufzustehen und das Büro ohne ein weiteres Wort zu verlassen,
besann sich jedoch der
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