Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
möglichen Folgen und blieb sitzen. »Ich möchte noch
einmal darauf hinweisen, Herr Dr. Bartholdy, dass wir hier über meine absolute
Privatangelegenheit sprechen. Ich muss Sie bitten, diese Privatsphäre zu
respektieren. Ich möchte nicht von Ihnen bedroht werden, und ich möchte auch
keine guten Tipps, wie ich mein Leben einfacher gestalten könnte. Ich nehme
Ihre Einwände mein Privatleben betreffend zur Kenntnis, mehr nicht. Und ich
bitte Sie, für die Zukunft von weiteren Einmischungsversuchen abzusehen.«
Damit stand er auf und beugte sich mit ausgestreckter Hand
nach vorne. Bartholdy sah ihn mit zu Schlitzen verengten Augen an, ohne einen
Finger zu krümmen.
»Sie sind noch um einiges dümmer, als ich dachte, Lenz. Gehen
Sie, gehen Sie ruhig. Aber die Sache ist damit nicht ausgestanden, das muss
Ihnen klar sein.«
»Danke für den Hinweis.«
»Und seien Sie nicht überrascht, wenn es tatsächlich zu
dienstrechtlichen Ermittlungen kommt. Ihr Verhalten ist nämlich dazu angetan,
das Ansehen Ihres Dienstherren in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, und das
werde ich mit absoluter Sicherheit nicht hinnehmen. Guten Tag.«
»Guten Tag«, erwiderte Lenz und verließ das Büro. Als er im
Flur stand, huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht.
»Na, auch schon auf den Beinen?«, wurde er von
Thilo Hain empfangen, der zusammen mit Rolf-Werner Gecks und Rüdiger Ponelies
in seinem Büro saß.
»Guten Morgen zusammen«, entgegnete der Hauptkommissar, nahm
sich einen Stuhl und setzte sich. »Was gibt’s Neues?«
Gecks zog einen Notizblock aus der Tasche und
klappte ihn auf. »Moin, Paul. Die ganze Geschichte ist von Anfang bis Ende
merkwürdig. Rüdiger und ich haben allen Nachbarn auf den Zahn gefühlt und uns
auch schon mit seiner Tochter unterhalten, die vor zwei Stunden am Tatort
aufgetaucht ist. Allerdings hatten sie und ihre Eltern nicht das beste
Verhältnis miteinander oder besser gesagt, gar kein Verhältnis. Dementsprechend
kühl hat sie auch auf seinen Tod reagiert.«
»Haben wir jetzt eine Verdächtige?«, wollte Lenz wissen.
»Nein, sie kommt für den Mord nicht infrage. Sie fährt einen
Omnibus der KVG und hat zur Tatzeit Dienst geschoben, das hat Rüdiger schon
überprüft.«
»Warum war das Verhältnis zu ihren Eltern so zerrüttet?«
»Darüber wollte sie sich nicht auslassen. Angedeutet hat sie
jedoch in einem Nebensatz, dass ihr Vater einer war, dem ziemlich schnell die Hand
ausgerutscht ist. Und das ist wirklich ungewöhnlich, weil Dieter Bauer Pädagoge
gewesen ist. Er hat bis zu seiner Pensionierung vor knapp zehn Jahren für den
Landeswohlfahrtsverband Hessen gearbeitet, die überwiegende Zeit davon in einem
Jugendheim in Wabern.« Gecks blätterte in seinen Unterlagen. »Karlshof, so
heißt das Jugendheim.«
»Was hat er da genau gemacht?«
»Was weiß ich? Was macht man als Pädagoge?«
»Na ja«, mischte Hain sich ein, »vermutlich hat er auf die
Heimkinder aufgepasst. Wofür sollte man als Pädagoge sonst im Jugendheim
zuständig sein?«
»Das müssen wir klären, obwohl ich nicht glaube, dass sein
Tod etwas mit seinem früheren Arbeitsplatz zu tun hat. Dafür ist er schon viel
zu lange im Ruhestand. Hast du sonst noch was über seine Familie erfahren?«
»Seine Frau ist vor ein paar Tagen gestorben und gestern
Nachmittag beigesetzt worden, aber das wisst ihr ja schon. Vermutlich hat der
Täter im Haus auf Bauer gewartet oder ist kurz nach seiner Rückkehr dort
aufgetaucht.«
»Spuren eines Einbruchs?«
»Heini sagt, vermutlich nein, aber festlegen wollte er sich
noch nicht. Bauer hat seine Frau gepflegt und dabei das Haus nur sehr selten
verlassen, weshalb er in der Wahrnehmung der Nachbarn in den letzten Monaten
gar nicht mehr vorgekommen ist.«
»Irgendwelche Neuigkeiten zu dem komischen Schreiben, das wir
gefunden haben?«
»Heini hat mir, kurz bevor wir abgefahren sind, noch
gesteckt, dass der Inhalt und das Kuvert völlig sauber gewesen seien. Weder
Fingerabdrücke noch irgendwas anderes hat sich darauf befunden, rein gar
nichts.«
»Hat vielleicht jemand eine Idee dazu?«, wollte Lenz von
seinen Kollegen wissen.
»Für mich ist klar«, reagierte Rüdiger Ponelies als Erster,
»dass es der Täter dort hinterlassen hat. Was er allerdings damit bezwecken
will, erschließt sich mir nicht.«
Lenz sah in die Runde. »Ist das alles?«
»Mensch, Paul«, antwortete Hain mit genervtem Unterton,
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