Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
»Und wie war dein Tag sonst
so?«, wollte er stattdessen wissen.
»Ich war viel unterwegs.
Wie gesagt, ich musste eine ganze Menge erledigen. Ich war im Mobilfunkshop,
auf dem Rathaus, ach ja, und vorher noch beim Anwalt.«
»Beim Anwalt? Was
wolltest du dort?«
Sie fing laut an zu
lachen. »Vielleicht ist es dir entgangen, mein Geliebter, aber seit ein paar
Tagen weht in meinem Leben ein anderer Wind. Deshalb habe ich mich informiert,
was ich in der nächsten Zeit beachten muss.«
»Du warst wegen deiner
Scheidung beim Anwalt?«
»Na ja, Rainer, der
Jurist, ist eher ein ganz alter Freund von mir, den ich auch lange nicht
gesehen hatte. Und er hat mir ein paar echt gute Tipps gegeben, aber das
erzähle ich dir wirklich alles später, wenn ich in deinen Armen liege.«
»Sonst gab es nichts?
Keine Anrufe?«
Wieder ihr kehliges
Lachen. »Was denkst du denn? Klar gab es Anrufe. Vier von Erich, zwei von einem
befreundeten Arzt, und einen von diesem Peters von der Zeitung. Ich gehe aber
nicht mehr dran, wenn ich die Nummer nicht sehen oder zuordnen kann. Dann warte
ich, bis die Mailbox sich meldet. Oder auch nicht.«
»Was wollte dein Mann?«
»Was sollte er wollen?
Mich zurück, was denn sonst? Wir haben übrigens die Phase der Drohungen hinter
uns gelassen und befinden uns jetzt im Bereich des Bittens und Bettelns.
›Maria, denk doch auch mal an die schönen Zeiten, die wir hatten, und wirf das
nicht alles wegen einer Romanze weg‹, oder so ähnlich. Aber ich bin sicher,
dass die Drohungen noch nicht gänzlich ausgestanden sind, da kommt bestimmt
noch was. Aber das ist mir egal.« Sie unterbrach kurz ihren Redefluss. »Viel
wichtiger ist mir, dass es uns gut geht. Und dafür werde ich alles tun. Oder
fast alles.«
»He, he«, protestierte
Lenz. »Kaum aus den Klauen des Alten, schon die dicke Lippe.«
»Ich kann’s mir leisten«,
erwiderte sie flapsig. »Aber jetzt muss ich Schluss machen, hier ist nämlich
noch eine ganze Menge zu tun, bevor unser Übergangsheim wieder vorzeigbar ist.«
»Mach dir keinen Stress«,
beruhigte Lenz seine Freundin, »ich bin gerade in Homberg und brauche auch noch
eine Weile. Vielleicht hast du ja nachher Lust, mit mir in einem Biergarten was
zu essen.«
»Gern. Nur nicht in
Kassel, ich habe keinen Bock auf die Blicke der Leute.«
»Nein, wir fahren
irgendwohin aufs Land. Bis später.«
»Ja, bis später.«
Während der Hauptkommissar auf seinen Partner wartete,
setzte er sich auf eine Bank, die einsam und verlassen am Rand des großen
Parkplatzes stand, und dachte über den Fall nach, der sie nach Homberg geführt
hatte.
Da
waren die beiden toten Erzieher. Ältere Leute. Sie waren vermutlich umgebracht
worden wegen Dingen, die sehr, sehr lange zurücklagen. Dieter Bauer, so stellte
es sich im Augenblick zumindest dar, war ein mutmaßlicher Vergewaltiger
gewesen. Aber warum hatte Ruth Liebusch dran glauben müssen? Weil sie Petra
Soffron, aus welchen Gründen auch immer, alimentiert hatte? Und wie passte der
Tod von Martin Melchers in dieses Bild? Ein armes Schwein, das sein ganzes
Leben lang nur gemobbt und unterdrückt worden war.
Alle
drei, das war Fakt, waren auf die gleiche brutale Art ermordet worden. Für Lenz
kam definitiv nur ein Einzeltäter infrage, ganz gleich, was Dr. Franz wegen der
Todeszeitpunkte behauptete.
Und die Füchse. Nach
Meinung von Werner Schlieper konnten die beiden ehemaligen Karlshofzöglinge
nicht die Täter sein, weil sie nicht in der Lage waren, zu lesen und zu
schreiben. Aber war das ein Beweis?
Lenz blickte auf, weil
die Tür des Hinterausgangs gegenüber sich knarzend öffnete und Gerd Brommeis
auftauchte. Der Mitarbeiter des Jugendamtes kam mit skeptischem Blick auf den
Kommissar zu, der aufstehen wollte.
»Bleiben Sie ruhig
sitzen«, beschied er dem Polizisten mit einer knappen Geste. »Wir sind ohnehin
ganz schnell fertig.« An der Bank angekommen, blieb er einen Moment stehen und
sah sich um. »Wo ist Ihr Kollege?«, fragte er irritiert.
»Der ist kurz in die
Stadt, um sich bei einem Bäcker etwas gegen seinen Hunger zu holen. Wir hatten
heute ein eher knappes Mittagessen.«
»Ach so.« Brommeis sah
auf die Uhr. »Hoffentlich bekommt er noch was. Die Uhren in der Homberger
Innenstadt ticken nämlich anders als die in Kassel.«
Lenz überhörte den
Hinweis. »Haben Sie etwas herausfinden können?«, fragte er gespannt.
Der Mitarbeiter des
Jugendamtes nickte.
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