Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
hier gespannt hatte, war sehr belastbar. Das Ganze war unfassbar, denn selbst
der Heimleiter ist diesem Mann in den Hintern gekrochen.«
»Wie ging es weiter?«
»Irgendwann hat ihn ein
Bewohner angezeigt, wegen Körperverletzung, und der konnte es beweisen. Nach
tagelangem Manipulieren und Zureden hat er die Anzeige zwar zurückgezogen, aber
danach war Bauer definitiv ruhiger. Mich jedenfalls hat er in Ruhe gelassen,
weil ich ihm eindeutig zu verstehen gegeben habe, dass die nächste Anzeige von
mir kommen würde. Und ein paar Monate später ist er dann in den Ruhestand
gegangen, was hier niemand beweint hat.«
Sie setzte sich und griff
nach einer Zigarettenpackung, legte sie vor sich auf den Tisch, nahm jedoch
keinen Glimmstängel heraus. »Vielleicht kann ich Ihnen ein klein wenig helfen,
meine Herren, aber wenn, müsste ich sicher sein, dass es unter uns bleibt.«
Die Polizisten sahen sie
erstaunt an.
»Der Mann meiner besten
Freundin arbeitet auf dem Jugendamt in Homberg. Ich weiß nicht, was er dort
genau macht, weil er nicht gern über seine Arbeit spricht, aber wenn Sie
wollen, rufe ich bei ihm an und frage, ob er irgendetwas für Sie tun kann.«
»Ja«, rief Lenz
begeistert, »das wäre natürlich großartig. Wir sind für jeden Hinweis, selbst
den kleinsten, dankbar.«
Vera von Bissingen griff
in ihre Tasche, zog ein Mobiltelefon heraus und drückte eine Schnellwahltaste.
Danach telefonierte sie etwa fünf Minuten. Hain und Lenz hörten erstaunt dabei
zu, mit welcher Überzeugungskraft sie den Mann beackerte, sich mit den
Polizisten zu treffen und ihnen zu helfen.
»Es geht übrigens bei der
ganzen Sache um diesen Arsch, der …«, beendete sie einen Satz und lauschte dann
in das kleine Gerät an ihrem Ohr. »Genau. Der, von dem ich immer angegrabscht
worden bin.« Wieder hörte sie kurz zu. »Danke, Gerd. Warte, ich frage sie.«
Damit sah sie die beiden
Polizisten an. »Er würde sich mit Ihnen treffen. Am besten jetzt gleich, weil
er am Wochenende keine Zeit hat und die ganze nächste Woche auf einem Seminar
ist.«
Beide nickten eifrig.
»Natürlich, gern«, rief
Lenz.
»Sie kommen. Noch mal
vielen Dank. Und liebe Grüße an Heike, ich ruf sie später an.«
*
Gerd
Brommeis, ein hochgewachsener, hagerer Mann von etwa 40 Jahren, erwartete die
Beamten wie vereinbart am hinteren Eingang des Kreishauses in Homberg, der
Kreisstadt des Schwalm-Eder-Kreises. Er stellte sich kurz vor und betrachtete
ausführlich die Dienstausweise der Polizisten.
»Sie wissen«, meinte er
dann, »dass es nicht legal ist, was ich gleich für Sie machen werde. Ich habe,
weil mir ernsthafte Zweifel gekommen sind, gerade eben auf der Fahrt noch
einmal mit Vera telefoniert, und sie hat mir ein paar Details mehr zu der
fraglichen Sache verraten. Deshalb bin ich mir nun sicher, dass ich Ihnen
helfen möchte.«
Er zog einen Block aus
der Tasche, bat Lenz um den Namen der leiblichen Mutter der Adoptivkinder und
des möglichen Zeitraums der Adoptionen, und nickte kurz. »Bitte warten Sie
hier, ich bin in etwa einer halben Stunde zurück.«
Damit drehte er sich um,
schloss die alte, verwitterte Holztür auf und verschwand im Gebäude. Hain sah
ihm mit gerunzelter Stirn hinterher.
»Lass mal, Thilo«,
reagierte Lenz ruhig, »der weiß bestimmt, was er macht. Und es stimmt, dass es
alles andere als legal ist.«
»Richtig«, erwiderte der
Oberkommissar. »Im Übrigen hab ich einen Bärenhunger, das Reisfutter von heute
Mittag hat nicht so lange gewirkt. Ich geh schnell rüber in die Innenstadt und
hol was aus einer Bäckerei. Willst du auch was essen?«
»Nein, danke. Aber einen
Kaffee würde ich nehmen.«
Ein paar Sekunden später
war Hain um die Ecke. Lenz zog sein Telefon aus der Tasche und wählte Marias
Nummer.
»Maria Z.«, meldete sie
sich fröhlich.
»Ich bin’s.«
»Das hab ich mir fast
gedacht. Und es ist einer der letzten Anrufe, die du unter dieser Nummer an
mich absetzen kannst.«
»Ah, hast du dir eine
neue Sim-Karte besorgt?«
»Genau. Und meine
Lohnsteuerklasse habe ich auch ändern lassen.«
»Warum denn das?«
»Erklär ich dir später.
Wie geht es dir? Du klingst müde.«
»Das bin ich auch, Maria.
Und ich freue mich tierisch auf zu Hause.«
»Klasse. Lass dir aber
noch ein bisschen Zeit, dann ist hier alles fertig, wenn du kommst.«
Lenz widerstand dem
Reflex, sich die näheren Hintergründe von alles
erklären zu lassen.
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