Schmusemord
vergebens versuchte, Baltasars Rückenlehne mit den Füßen zu erreichen.
»Unselig die Wehrlosen, denn sie wird das Land besitzen«, sagte Yü.
»Ganz schlecht; was ist los mit dir?« Matzbach blickte ihn beinahe besorgt an. »Lümmelt sich auf dem Beifahrersitz und redet Unfug; ist Er krank?«
»Wohin jetzt?« sagte Zaches.
»Köln-Süd; gewissermaßen ein Heimspiel für diesen Antiquar, der meine Philosophen nicht haben will.«
Yü keckerte. »Meng-tse sagt, daß dem Tugendhaften die Verunglimpfung durch einen Unhold holder Glimpf ist. Hörst du? Du glimpfst mich.«
»Nicht weit von hier residiert seit Jahren eine Gesellschaft zur Stärkung der Verben. Was würden die wohl daraus machen – glimpfen, glompf, geglumpfen? O glömpfe ich nimmer einen Chinesen.«
»Wieso Köln-Süd?« sagte Zaches.
»Gesellschaft zur Stärkung der Verben?« sagte Yü. »Klingt wunderbar. Auch eine Art Kampfsport, was? Gibt’s die noch, oder ist sie vom Winde verwohen?«
Matzbach schnalzte feucht. »Verwohen? Dafür ist dir die Hälfte deiner heutigen Sünden erlassen, mein Sohn. Und ob es die Gesellschaft noch gibt! Ich war länger nicht mehr da, aber manchmal telefonier ich mit der Vorsitzenden.«
»Wieso Köln-Süd?« sagte Zaches. »Bloß so, zwischendurch, als Frage von einem ignorierten Zwerg. Ignororenen Zworg.«
»Da befindet sich die Kneipe
Zum Goldenen Kappeskopp
– heißt wirklich so –, wo der unzureichend betrauerte Österreicher aus dem Leben gestoßen wurde. Wo ein Herr Würselen die Fäuste schwang. Wo dessen Konkubine kellnert oder zapft oder so. Wo du diese beschmusen sollst.«
»Würselen?« Zaches stöhnte. »Muß ich mich wirklich mit einem anlegen, der
so
heißt? Hast du nicht mal nen netten Namen für mich?«
»Dein Name ist nett genug.«
»Ich glaube, da, wo du hin willst, findet heute ein Straßenfest statt«, sagte Yü. »Bringst du es übers Herz, ein paar Schritte zu wandern?«
»Herz vielleicht, aber Füße?«
Nach etlichen Runden um etliche Blocks stellte Matzbach den Wagen protestierend auf einem Parkplatz nahe McDonald’s ab und folgte den beiden ins hör- und sichtbare Getümmel zwischen Bonner und Mainzer Straße. Yü und Zaches unterhielten sich angeregt über Weltreisen, Buchläden und Wohnungspreise in Köln-Süd; Baltasar nutzte die relative Stille, um die Welt zu vergessen und an Czerny zu denken.
Die Welt brachte sich unsanft in Erinnerung. Nicht die Bierstände störten Matzbachs Meditation, auch nicht Inline-Skater, die an ihm vorbeisausten, oder die alles überlappenden Musikteppiche, die hier und da ausgerollt wurden und sich überall zu neuen Scheußlichkeiten verknüpften, Humbahumba und Techno zu etwas erhoben, das keinen Namen hatte und (wie Matzbach, als er es irgendwie registrierte, ohne es zu bemerken, im Hinterkopf befand) als Dauerberieselung in Folterkellern angebracht wäre. Es war durchaus möglich und sogar passend, dabei an tote Österreicher zu Lebzeiten zu denken.
Ausnahmsweise focht ihn nicht einmal die von untalentierten Sprühern und Pinslern betriebene Demolierung der öffentlichen Rest-Ästhetik an; für gewöhnlich lösten Wände, auf denen ein
sgraffitto
ins andere überging, bei ihm etwas aus, das er Emblemkoller nannte – oder Harnhohn, die Verfertiger der
sgraffitti
betreffend, die »überall rumpissen, während Köter nur da strullen, wo noch keiner feuchte Landnahme begangen hat«. Trefflich ließ sich bei Betrachtung der geschändeten Mauerflächen des austrischen Wanderburschen gedenken, der an einem fernen Tag obszöne Bemerkungen auf einem Stück Wand des bretonischen Labyrinths hinterlassen hatte.
Köter, Tauben, Ratten, menschliche Frettchen … Nichts von alledem störte ihn, auch nicht die plötzlich auftauchenden Schützenbrüder, die mitten auf der Straße eine Bresche ins Gewimmel marschierten; nicht die überaus gesunden Früchte eines Standes, bei dessen Anblick er zerstreut an große Mengen Fleisch dachte; nicht die großen Mengen mehr oder minder bloßen Fleischs, das einheimische Damen herumtrugen, oder die dunklen Verhüllungen ähnlicher Massen bei den Dönerständen.
All dies litt er und litt daran nicht; nichts davon hemmte seiner Gedanken emsige Trägheit – wohl aber drei sittsam gekleidete junge Leute, die Pamphlete verteilten und dabei zwanghaft lächelten. Yü und Zaches versuchten, rechts und links auszuweichen; einer der jungen Männer hielt Yü am Ärmel fest und stand einfach so da, als der zerstreute Matzbach
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