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Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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nächsten Getränke abgestellt hatte, dankte überaus herzlich, »auch im Namen der armen durstenden Ausländer«, und sagte dann:
    »Na ja, sieht so aus, als ob Czerny dann gar nicht hinter Jüssen, sondern hinter dem anderen her war, wie? Wie heißt der denn?«
    »Lanzerath«, sagte Hermine. Sie lächelte beinahe liebevoll. »Und mit Vornamen Evergislus.«
    Komarek starrte sie an. »Ever was?«
    »Evergislus.«
    »Ha. Ich wußte doch, eines Tages finde ich jemand, der noch schlimmer heißt. Dagegen ist Hieronymus ja harmlos.«
    »Das Problem ist nur«, sagte Matzbach, »daß in den Papieren, die Sie mir gegeben haben, nichts über diesen Lanzerath steht. EJ kann er ja nicht sein – es sei denn, Czerny hätte uns allen ein J für ein L vorgemacht.«
    »Evergislus Lanzerath«, sagte Komarek, noch immer andächtig. »Aber Sie haben recht – EJ kann nicht EL sein.«
    »Weshalb mich die diversen Papiere durchaus interessieren, die Czerny hinterlassen hat. Morgen früh, sagten Sie? Elf Uhr?«
    »Ja. Wollen Sie sich vorher noch was ansehen?«
    »Er will im Prater vom Riesenrad spucken«, sagte Hermine. »Und ein paar Leute sprechen, die es nicht gibt.«
    »Sieht ihm ähnlich.« Komarek blinzelte; es mochte auch ein Zwinkern sein. »Und heute? Haben Sie schon überlegt, wo Sie nachher essen wollen?«
    »Noch nicht.«
    »Doch«, sagte Matzbach. »Aber vorher noch was. Sie verplempern Ihren Urlaub also damit, hinter Czerny herzuräumen? Versprechen Sie sich was davon?«
    »Sie werden es nicht glauben: Es gibt so was wie Gefühle, wissen Sie. Ein alter Freund ist tot; da möchte man doch wissen, was eigentlich geschehen ist.«
    »Ah ja.«
    »Was war mit deinen Essenswünschen?« sagte Hermine.
    »Du wolltest dir doch unbedingt diese Klepper anschauen, Lipizzaner.«
    »Was hat das mit Essen zu tun?«
    Matzbach grinste. »Ach, ich frag mich bloß, ob’s nicht vielleicht bei der Hofreitschule den einen Metzger gibt, der den Italiener nebenan beliefert. Bei dem man als Spezialität des Hauses Lipizza kriegt.«
    Czernys Behausung lag jenseits eines Innenhofs, in dem die längst nutzlose Pumpe wie ein vergessener Posten stand; das Becken, das einmal Pumpenwasser aufgefangen hatte, war voll von zerdrückten Getränkedosen, Tampons und Kondomen. Eine von Generationen ausgetretene Treppe führte hinauf zur zweiten Etage; links wohnte jemand namens Albuquerque-Tupfinger, ließ sich aber zu Matzbachs Enttäuschung nicht blicken.
    Hinter der angelehnten, zerkratzten und mit
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der unlesbaren Art verzierten Tür lag ein Flur; die Tür des ersten Raums stand offen, versperrte den weiteren Durchgang und zwang die Besucher, das vordere Zimmer zu betreten. Matzbach klatschte in die Hände und sagte: »Ach. Ach ja.«
    Czerny hatte nach der letzten Trennung oder Scheidung (»wie man’s nimmt; kommt irgendwie aufs selbe raus«, sagte Komarek) eine ramponierte Altbauwohnung bezogen. Noch während sie sich umschaute, argwöhnte Hermine, es sei dies ein Versuch gewesen, weitere Damen abzuschrecken.
    »Sie kennen Österreicherinnen nicht.« Komarek schnalzte. »
Tu felix Austria
und so weiter. Wer diese Absteige freiwillig betritt, hat sich schon aufgegeben und will inzestuöse Mutter spielen.«
    »Meinen Sie, das wäre in Deutschland anders?«
    »Wahrscheinlich kennen Sie auch Deutsche nicht. Oder sagt man jetzt, im Zeichen der Korrektheit, Deutschinnen?«
    »Wer kennt sich schon mit wem aus?« sagte Matzbach. »Ihr langweilt mich. Die offene Tür verheißt die Anwesung eines austrischen Juristen. Wo mag er sich befinden?«
    Die beiden letzten Sätze hatte er sehr laut gesagt; aus einem Nebenzimmer hörte man ein mattes »Hier«, gefolgt von einem wuchtigen Niesen.
    »Gesundheit, gegen wen auch immer.« Matzbach ging dem Klang nach; was allerdings nicht einfach war.
    Der Boden des Raums bestand aus alten Bohlen, die den windungsreichen Verlauf der Zeit genutzt hatten, sich auf und ab und seitlich zu krümmen. Vor Äonen hatte jemand hier und da mit einem Messer oder vielleicht Spachtel begonnen, einerseits Auswüchse des Holzes zu kappen, andererseits Eisenbahnschienen samt Weichen, Bahnsteigen und Abstellgleisen einzuritzen. Beides war unvollkommen gelungen und genügte nur einer waghalsigen Hypothese: daß dies ehemalige Kinderzimmer vom letzten Bewohner dazu genutzt worden sei, hinfällige Besucher einem befreundeten Orthopäden auszuliefern. Für alle, die die Unebenheiten überwinden konnten, standen weitere Prüfungen bereit.

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