Schnappschuss
greifen. Der war nicht da. Auch nicht im Auto. Dann fiel es ihm ein: Er hatte ihn auf dem Küchentisch vergessen. Er war nach Hause gefahren, in seinen Overall gesprungen, hatte den umgestürzten Baum zersägt und war zu dem Gerichtstermin geeilt. Challis achtete meist auf seine Eingebungen, und diesmal hatte er das schleichende Gefühl, besser keine Sekunde zu verschwenden.
Er rannte hinunter zum Parkplatz, sprang in den Leihwagen und fuhr los. Am zweiten Kreisverkehr bog er nach Nordwesten ab und warf einen kurzen Blick hinüber zu Waterloo Mowers. Die Beleuchtung des Geschäfts wirkte durch einen Schleier aus Wassertröpfchen ganz stumpf gelb. Ein Mann in Ölzeug begutachtete niedergeschlagen die Reihen von Rasenmähern, die draußen auf der Rasenfläche standen. Challis’ Reifen zischten, und die Vorderleute warfen ihm schmutzige Wasserschwaden an die Windschutzscheibe.
Kurz darauf fuhr er an einer trostlosen Sozialsiedlung und einer Reihe von feuchten Pferdeweiden vorbei, dann war er im leicht hügligen Hinterland, wo teure modische Häuser nur wenig Aussicht auf die Bucht hatten. Die restlichen Anwesen waren schon älter, leicht heruntergekommene Farmhäuser aus Eternit, Schindeln und Klinkersteinen, daneben ungepflegte Kiefern, Obstgärten und Staudämme. Der Winter wurde feucht, das war schon zu Beginn der Jahreszeit klar, und die Staubecken waren voll, die Nebenstraßen verschlammt, in den Straßengräben gurgelte das Wasser, die Wassermassen wuschen Sand und Schotter aus abzweigenden unbefestigten Pisten auf die Asphaltstraßen.
Daran erkannte Challis seine eigene Straße. Ein schmutziger, gelblich-brauner Schmier quer über der Bitumendecke. Er bog ab und platschte durch Schlammlöcher. Dann hörte er, wie der Heizungsventilator mit einem letzten Todesklappern seinen Dienst einstellte. Da bemerkte er die Reifenspuren im Gras. Dunkelbraune Schlammstreifen im Grün. Challis’ erster Gedanke war: Die sind stecken geblieben .Sein zweiter und dritter: Wer? und Wie sind sie wieder rausgekommen? Sein vierter, als er die aufgebrochene Hintertür sah: Haben sie den Laptop auch mitgenommen?
35
Während Challis warten musste, kochte er sich einen Kaffee, achtete aber sorgfältig darauf, wie er seine Sachen anfasste, schloss die Kühlschranktür mit dem Ellbogen und hob den Milchkarton mit dem Daumen heraus. Was die Kaffeekanne, Kaffeedose und seinen Becher mit der Aufschrift »old cops never die« anging: Er jedenfalls hatte noch nie einen Einbrecher kennen gelernt, der sich einen Kaffee gekocht hätte. Er wusste zwar, dass die Spurensicherung keine Fingerabdrücke finden würde, nur seine und ein paar alte von Tessa Kane – aber er kannte das Prozedere, und weil er selbst Polizist war, würde seine Wohnung erst recht äußerst gründlich durchsucht werden.
Es war zu kalt, um sich auf der Terrasse aufzuhalten, außerdem gab es sowieso keinen Sonnenschein, nur das graue Licht eines Winternachmittags, also drehte er die Zentralheizung auf, setzte sich an den Küchentisch und erstellte Inventarlisten für die Versicherung und die CIU. Schaden: Aufgebrochene Hintertür, eine zerschlagene Obstschale (italienisch, handbemalt, ein Geschenk von Tessa), zerbrochene CD-Hüllen. Nach kurzem Nachdenken setzte er noch den Schaden im Rasen durch die zwei eingegrabenen Reifenspuren mit auf die Liste. Gestohlen: Eine Dose mit Kleingeld, etwa 15 Dollar; Digitalkamera, 499 Dollar; DVD-Spieler, 250 Dollar; tragbarer Fernseher, 399 Dollar; Anrufbeantworter, 70 Dollar; schnurloses Telefon, 79 Dollar; Laptop, 2500 Dollar; Laptop-Tasche, 60 Dollar. Challis ging noch einmal durchs Haus, kehrte in die Küche zurück und fügte hinzu: Wanderschuhe Marke Rockport (neu), 299 Dollar; Schweizer Offiziersmesser (zehn Jahre alt, kein Kaufbeleg mehr vorhanden); Walkman (kaputt); Ledergürtel, 45 Dollar. Ein dritter Durchgang, und auf der Liste landete noch der Wecker, 25 Dollar, und diverse Schmuckteile (Besitz der verstorbenen Gattin), geschätzter Wert etwa 2000 Dollar.
Angela hatte einige Ringe und Ohrringe mit ins Gefängnis nehmen wollen, aber er hatte ihr davon abgeraten. Der Schmuck und damit seine Frau würden schnell den Neid der Mithäftlinge wecken. »Sie werden sie dir abreißen«, hatte er gesagt, »oder sie werden dich verachten. Das wird hier alles auf dich warten, bis du wieder draußen bist.« Angela hatte gefragt: »Wirst du auch auf mich warten?«, aber er hatte darauf keine Antwort gewusst. Den Großteil des Schmucks
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