Schnapsdrosseln - Kriminalroman
schienen.
Er hätte nicht einfach gehen sollen vorhin. Aber er war wütend gewesen, so wütend, dass er fürchtete, Dinge zu sagen, die er bereuen würde.
Sie würde zur Vernunft kommen. Sie war seine Tochter. Er hatte alles für sie getan. Und auch für Bernd, ihr zuliebe.
Ohne sein Geld hätte es keine Firma gegeben. Natürlich hatte er dieses Geld zurückbekommen, aber darum ging es ja nicht. Er hatte Bernd diese Firma ermöglicht. Und der hatte das für selbstverständlich genommen. Hatte, als es an der Zeit war, sich erkenntlich zu zeigen, keine Gelegenheit versäumt, Dieter zu demütigen.
Er schob den Gedanken weit weg. Bernd war tot. Er würde nie wieder in sein herablassendes Gesicht sehen, nie mehr eine dieser Bemerkungen ertragen müssen. Nie mehr schlucken und fühlen, wie es brodelte, immer stärker brodelte in ihm, bis er sich wünschte, dass er endlich schweigen würde, für immer, bis er es nicht mehr ertrug und …
Er sprang vom Sessel hoch. Es war ihm unmöglich, sitzen zu bleiben. Unruhig ging er auf und ab, sperrte Gedanken und Erinnerungen weg, konzentrierte sich auf den Raum, die Möbel, Rattan, er sah den cremefarbenen Teppich. Ein unmodernes Wohnzimmer, fast ein bisschen heruntergekommen. Es war noch alles wie damals. Damals war es neu gewesen, modern. Liebevoll eingerichtet von Grit. Hätte sie länger gelebt, es sähe anders aus heute. Aber er hatte nichts verändert. Nicht aus sentimentalen Gründen. Er hatte einfach keinen Sinn für diese Dinge. Für ihn waren Möbel Gebrauchsgegenstände. Ein Stuhl zum Sitzen, ein Tisch zum Essen, ein Bett zum Schlafen. Ein Sessel zum Entspannen, ein Vorhang, um neugierige Blicke abzuwehren.
Auch Maxi hatte bis zu ihrem Auszug in ihrem Kinderzimmer ausgeharrt. Weißer Lack, viel Rosa, auch als sie längst aus diesem Alter raus war. Dieter hatte angenommen, dass sie dieselben Gründe dafür hatte wie er. Als er erlebt hatte, mit welcher Besessenheit sie ihr eigenes Haus einrichtete, war er erschrocken. Unendlich viel Zeit und Mühe hatte sie auf jedes Detail verwendet. Und er hatte zum ersten Mal das Gefühl gehabt, seine Tochter nicht wirklich zu kennen.
Er stand auf und trat zum Fenster, sah hinaus in den dämmrigen Garten. All das war Unsinn. Er kannte Maxi, sie kannte ihn. Seine Tochter liebte ihn. Und sie wusste, was sie ihm schuldig war. Er würde morgen noch einmal ganz in Ruhe mit ihr reden. Er würde diese Firma übernehmen.
Wenn nicht, dann war alles umsonst gewesen. Alles!
Der Gedanke schnürte ihm die Luft ab.
Seine Hand fuhr zum Hemdkragen. Hektisch fummelte er am Knoten seiner Krawatte, lockerte ihn. Er bemühte sich, ruhig zu atmen. Das Gefühl von Kontrollverlust zu unterdrücken. Einatmen. Ausatmen.
Er hatte getan, was er tun musste. Am Ende bekam jeder, was er verdiente. So war das im Leben. So war das einfach.
Er sah sein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Er sah einen alten Mann mit schiefer Krawatte. Ein Fleck Eigelb auf der Hemdbrust, die Haare in Unordnung. Ein alter, verwahrlost wirkender Mann mit einem Glas Whisky in der Hand.
Eilig drehte er sich weg. Er stellte das Glas auf den Couchtisch, ging ins Schlafzimmer. Zog das fleckige Hemd aus, tauschte es gegen einen hellblauen Pullover. Er ging ins Bad, kämmte sich die Haare und wusch sich Gesicht und Hände. Er vermied es, sein Gesicht im Spiegel anzusehen. Es war kein guter Moment, um sich selbst in die Augen zu schauen.
Pollux trottete wenige Meter vor Jupp. Ab und an verharrte er am Wegesrand und schnüffelte bedächtig. Nicht im Mindesten besorgt, dass er möglicherweise wieder etwas Schreckliches wittern könnte, etwas Totes.
Obwohl, dachte Jupp, obwohl der Wald vermutlich erfüllt war mit Tod und Verwesung. Mäuse, Hasen, Vögel, Ratten, Tiere starben ständig, blieben einfach da draußen liegen. Ihn schauderte.
Schluss, befahl er sich, Schluss mit diesen morbiden Gedanken. Er empfand diesen inneren Tumult als hochgradig irritierend. So richtig schlimm hatte Nolden nicht ausgesehen. Blut eben, eine klaffende Wunde am Kopf, ein leerer Blick in Richtung Himmel, als man ihn umgedreht hatte. Jupp hatte schon mehr Leichen gesehen in seinem Leben. Natürlich solche, die ordentlich aufgebahrt und zurechtgemacht gewesen waren. Aber er war ein gestandener Mann, er wusste, dass der Tod zum Leben gehörte. Ein Mord war natürlich etwas Grausiges, aber viel zu abstrakt, um sein Bewusstsein wirklich zu trüben. Was ihm zu schaffen machte, war höchstens diese
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