Schnapsdrosseln - Kriminalroman
Distanzlosigkeit, mit der der Tod sich ihm aufgedrängt hatte.
Er sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde blieb ihm, bis er Pollux zu Hause abliefern und ins Gemeindehaus zur Chorprobe eilen musste.
Pollux blieb stehen. Er hob den Kopf, streckte die Nase ein wenig nach vorn. Seine Schultern hoben sich ein Stück, dann ging ein kleines Beben durch den wurstförmigen Körper. Er kläffte freudig und rannte los. Ganz und gar nicht der gesetzte Dackelherr, der er vor wenigen Sekunden noch gewesen war.
»Pollux!«, rief Jupp und stieß einen Pfiff aus. »Was machst du? Zurück, alter Junge!«
Der Dackel reagierte nicht. Was Jupp nicht weiter überraschte, denn Gehorsam war nicht Pollux’ Stärke. Stefanie war der Ansicht, dass es nicht zu spät war, ihn wenigstens noch ein bisschen zu erziehen. Jupp sah das anders. Trotzdem plauderte er gern mit Stefanie. Das war eine der schönen Seiten des Hundebesitzerlebens. Man traf viele Leute auf den täglichen Spaziergängen, nette Menschen, man hatte immer ein gemeinsames Thema. Stefanie war streng, aber nicht herablassend. Sie nahm es ihm nicht übel, dass er gewisse Ansichten nicht teilte. Sie schüttelte manchmal den Kopf, lächelte dabei aber auf diese Art, die Jupp verriet, dass sie verstand, was er eigentlich sagen wollte. Er mochte seinen Pollux nämlich. Genau so, wie er war.
Obwohl er sich jetzt eine Reaktion auf sein Pfeifen gewünscht hätte, denn das andere Geräusch, das an sein Ohr drang, verhieß nichts Gutes. Ein schrilles Keifen in einer Frequenz, die wenig Zweifel duldete. Oh Gott, dachte er, bitte nicht, alles, nur nicht das!
Er beschleunigte seine Schritte, bog um die Kurve und ließ alle Hoffnung fahren, denn ihm bot sich genau das Bild, das er gefürchtet hatte. Es gab nur ein Geschöpf auf der Welt, das in Pollux diese Art von Vitalität wachrief.
Jupp hatte nie verstanden, was er an der hysterischen Hündin fand. Aber so war das halt mit der Liebe, und darum tobte Pollux jetzt begeistert japsend um Fipsi herum. Das gegenseitige Interesse an gewissen Körperregionen offenbarte sich auf fast schon peinliche Weise.
»Aus!«, kreischte Elsa Nolden und wedelte hilflos mit den Armen.
Was tut sie hier, dachte Jupp, verdammt, sollte sie nicht zu Hause sein, weinen, trauern, das tun, was man eben tat, zu Hause und nicht hier im Wald, nicht ausgerechnet jetzt!
»Fipsi, komm zu Mutti!« Auf ihrem Gesicht und Hals zeigten sich hektische rote Flecken. »Holen Sie Ihren Köter da weg!«, wandte sie sich nun an Jupp. »Wenn der meiner Fipsi was antut …«
Antut, dachte Jupp, ach, verdammt! Er musste kondolieren. Passende Worte finden, den richtigen Tonfall.
»Das ist eine Zuchthündin«, keifte sie weiter. »Reinrassig, und wenn da jetzt was passiert, dann können Sie sich auf was gefasst machen!«
»Ich …« Jupp räusperte sich. Er war nie gut in so etwas gewesen, nicht mal unter günstigen Rahmenbedingungen. »Er tut ihr ja nichts. Ich meine, sie mag es ja auch …«, sagte er und wünschte umgehend, er könnte die Worte zurückholen.
»Was unterstehen Sie sich?« Elsa Nolden starrte ihn an, als habe er ihr gerade an den Busen gefasst.
Jetzt, dachte Jupp, jetzt muss ich es sagen. Mein Beileid. Es tut mir leid. Es tut mir entsetzlich leid … Er kam nicht dazu, denn in diesem Moment stieß Elsa einen schrillen Schrei aus. Sie hob den Arm, zeigte auf die Hunde. Pollux mühte sich rechtschaffen. Obwohl auch Fipsi eher kleinwüchsig war, schien es nicht ganz einfach, die Position zu erreichen, die von beiden Seiten als wünschenswert empfunden wurde.
So unangenehm die Situation war, die Szene rührte Jupp auch an. Pollux war verliebt. Seit er Fipsi das erste Mal gesehen hatte. Fipsi, die seine Gefühle offenbar erwiderte. Wenngleich Jupp natürlich nicht sagen konnte, wie exklusiv ihre Liebe war. Möglicherweise war sie ein wahlloses Flittchen, mehr an der Sache interessiert als an Pollux. Dem war das aber vermutlich herzlich egal.
Doch das war nicht der richtige Moment, die junge Liebe in Schutz zu nehmen. Elsa Nolden war zu den Hunden geeilt. Sie hob die Leine und ließ sie auf Pollux’ Rücken niedersausen. Jupp zuckte zusammen, aber Pollux selbst schien das nicht weiter zu stören.
»Lassen Sie das!«, schrie Jupp trotzdem. »Hören Sie auf! Das bringt doch nichts, er ist …« Verhakt, dachte er, und all die Dinge, die er über den Akt bei Hunden wusste, schossen auf unangenehm bildhafte Weise durch seinen Kopf. Noch nie hatte sich etwas so unpassend
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