Schnapsdrosseln - Kriminalroman
keine Ahnung, was. Oder warum. Aber es macht mich verdammt nervös. Es macht mich wahnsinnig.« Sie trank einen weiteren, letzten Schluck aus der Flasche.
»Wahnsinnig bist du sowieso«, bemerkte Till. »Aber auf eine sehr nette Art.«
»Warum hast du es ihm nicht gesagt?« Norbert sah Stefanie an. »Damals, meine ich?«
»Ich wollte weg. Schon bevor ich es wusste. Und als ich es gemerkt habe … Herrgott, ich war neunzehn. Wenn meine Mutter das mitgekriegt hätte, wäre die Hölle los gewesen. Und Bernd … es hätte alles noch komplizierter gemacht. Ich habe gedacht, dass es nichts ändert. Weil es ganz einfach ist. Ich wollte gehen, abtreiben irgendwo, dann neu anfangen. Meine Sache, mein Problem.« Sie starrte auf die Tischplatte. »Ich weiß bis heute nicht, was passiert ist. Ich konnte nicht. Dieses Gefühl, dass da ein Kind ist. Ich war nicht mehr allein. Und ich wusste, dass es alles viel, viel schwieriger machen würde, aber auf einmal wollte ich es haben. Es war die unlogischste und gleichzeitig die beste Entscheidung meines Lebens. Julian war alles wert. Mein Sohn ist ein großartiger Mensch.«
»Und du hast ihm nie gesagt, wer sein Vater ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte erst mit Bernd reden. Ich war froh, dass die Dinge so gut liefen zwischen uns. Es wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Wenn er mein Vertrauen nicht missbraucht hätte. Ich habe ihm von Julian erzählt. Und er hat seine Schlüsse gezogen. Er hat mich nicht gefragt. Sondern lieber gestohlen und mich hintergangen.«
»Er hätte gern einen Sohn gehabt«, sagte Norbert. »Wir haben manchmal darüber gesprochen. Über Kinder. Er hat gesagt, dass er sich das toll vorstellt. Da waren wir uns einig. Es ist etwas Gutes. Etwas Besonderes. Und darum dachte ich, dass ich Anna verstehe. Ich wollte das wirklich, ich hätte gerne Kinder gehabt mit ihr. Es hätte funktioniert. Alles wäre anders gewesen mit mir und Anna.« Er schwieg einen Moment. »Anna«, wiederholte er dann leise. Der Name hing in der Luft, schien über dem Tisch zu schweben.
»Norbert, sie ist deine Frau! Du denkst nicht wirklich …«
»Doch«, unterbrach er. »Du weißt nicht, wie sie ist. Sie ist … besessen. Es war schwierig und frustrierend, es war aufreibend. Auch für mich. Aber für sie … sie ist wütend, Stefanie. Sie ist unglaublich wütend. Auf mich. Auf Bernd. Auf die Welt. Auf ihre Schwester. Sie hasst jeden, jeden, der das hat, was sie will und nicht bekommt. Sie hatte das einigermaßen unter Kontrolle, solange wir diese Fertilitätsbehandlungen gemacht haben. Die Klinik, die Hormone, all den Kram. Aber es ging nicht mehr. Wir konnten es nicht mehr bezahlen. Seitdem hat sie nichts mehr, an dem sie sich festhalten kann. Sie geht daran kaputt. Und wenn sie mitgekriegt hat, dass du ein Kind hast, dass Bernd ein Kind hat, dann … Es ist nicht rational, verstehst du? Annas Zorn ist schon längst nicht mehr rational.«
»Sie hat es nicht gewusst. Niemand hat das gewusst. Er hatte den Test gerade erst machen lassen. Er hat mich sofort angerufen, als er das Ergebnis hatte. Wir müssen reden, hat er gesagt. Theatralisch und bekloppt. Ich wollte nicht. Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Zeit habe, weil ich mit dem Hund rausmuss. Er ist mitgekommen, und eigentlich war er ganz normal. Bis er dann auf einmal mit diesem Wisch gewedelt hat. Sich aufgeführt hat … ach, verdammt, das weißt du alles. Du warst da.«
»Ja«, sagte er. »Aber es muss noch jemand da gewesen sein! Er hat gelebt, als ich weggegangen bin. Und er hat gelebt, als du von ihm weg bist. Irgendwer war da. Jemand außer dir und mir und Bernd. Jemand, der ihm das angetan hat.« Er klang, als sei er den Tränen nahe.
Stefanie griff nach seiner Hand. »Du gehst zur Polizei«, sagte sie. »Wir beide gehen zur Polizei. Wir sagen denen alles, was wir wissen.«
»Ich werde gestehen«, sagte Norbert.
»Fang nicht wieder mit dem Scheiß an!« Sie wurde laut.
»Wenn Anna … Ich muss! Versteh doch.«
»Nein! Das lasse ich nicht zu. Es ist lächerlich, Norbert. So leicht kannst du die Polizei nicht täuschen. Und davon abgesehen … Ich will, dass der Richtige bestraft wird. Die Person, die Bernd getötet hat, soll dafür bezahlen. Dafür, dass sie meinem Sohn den Vater genommen hat. Und mir ein Stück Zukunft.« Sie holte tief Luft. »Wenn Anna ihn ermordet hat, dann wird sie dafür bezahlen. Sie! Nicht du!«
»Das wäre die perfekte Lösung, nicht wahr?« Die Stimme klang heiser. Stefanie
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