Schnapsdrosseln
Angst und Unsicherheit führen leicht zu Aggression. Und manchmal weiß man gar nicht, was wirklich los ist, obwohl man genau merkt, dass etwas nicht stimmt.« Sie hob die Flasche. »Prost«, sagte sie. »Auf einen wirklich blöden, einen saublöden Tag!«
Ihre Worte erinnerten Britta daran, dass sie eine Mission hatte. »Sie auch?«, fragte sie also scheinheilig.
Stefanie lachte. »Tun Sie nicht so. Sie waren heute beim Griechen und haben Jupp Nettekoven getroffen. Da sind Sie doch wohl im Bilde.« Sie bedachte Britta mit einem Blick, der klarmachte, dass verlogenes Geplänkel sinnlos war.
»Ich habe davon gehört. Natürlich, ein Mord, alle reden davon. Und dass Sie und das Opfer … ich meine, Herr Nolden, dass Sie und er …«
»Dass wir was?« Stefanie zündete sich eine Zigarette an.
»Dass Sie sich kannten«, zog sich Britta aus der Affäre.
Stefanie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte sie. »Ich weiß, was geredet wird. Ich bin hier aufgewachsen. Ich war eine Weile weg, aber manche Dinge ändern sich nicht. Es ist mir egal. Zumal ich im Moment nicht in der Stimmung bin, mich über dummes Geschwätz von unwichtigen Menschen aufzuregen. Bernd war ein guter Freund. Ich habe noch nicht wirklich begriffen, dass er tot ist. Ich weiß, dass ich damit klarkomme. Aber es tut weh.« Sie griff nach der Bierflasche, trank einen Schluck. »Man kann also wirklich sagen, dass das ein blöder Tag ist. Ein saublöder Tag sogar! Und darum bin ich froh, dass Sie hier sind und auch einen saublöden Tag hatten, obwohl ich Sie nicht mal kenne.« Sie lächelte und prostete Britta erneut zu.
Die warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Sie war um halb neun mit Margot verabredet. Wollte vorher bei Agathe vorbeischauen. Eigentlich hatte sie gar keine Zeit mehr. Aber uneigentlich war ihr das egal. Es war in Ordnung, hier zu sitzen und Bier zu trinken. Überhaupt war alles in Ordnung oder würde in Ordnung kommen, und sie ahnte, dass Bier ihre leisen diesbezüglichen Zweifel zerstreuen würde.
»Zum Wohl«, sagte sie deshalb. »Auf einen saublöden Tag.«
SECHS
Maxi Nolden schloss die Haustür hinter sich. Sie streifte die unbequemen Pumps von den Füßen und ließ sie entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit einfach neben der Fußmatte liegen. Sie war erschöpft. Erledigt. Körperlich und geistig.
Das hatte nichts mit dem Gespräch zu tun, das sie gerade in der Kanzlei geführt hatte. Ganz im Gegenteil. Es hatte ihr gutgetan, sich auf Probleme zu konzentrieren, die nicht ihre eigenen waren. Probleme, die sich wohltuend lösbar anfühlten.
Sie zog den Blazer aus, griff nach einem Bügel. Als sie ihn an der ordentlichen Garderobe aufhängte, berührte sie die Lederjacke. Ihre Hand zuckte zurück. Seine Lederjacke, teuer, heiß geliebt. Sie hatte ihm gut gestanden. Er war der Lederjackentyp.
Sie starrte einen Moment auf die Garderobe, drehte sich dann um. Griff doch nach den Pumps und öffnete den Schuhschrank. Auch da, eine Reihe dunkler Herrenschuhe, Sportschuhe, alles voll, das ganze Haus war voll von Spuren des Menschen, den es nicht mehr gab, der nie mehr zurückkommen würde.
Kurz versuchte sie, das zu ergründen, was sie empfand bei diesem Gedanken. Erschöpfung war da, aber auch Zorn und Verzweiflung, Reue und Trauer. Sie fühlte sich wie eine Schauspielerin, die das Drehbuch nicht verstanden hatte. Das Drehbuch eines experimentellen, sonderbaren Films, eine unrealistische, absurde Geschichte, die keinen Sinn ergeben wollte.
Das Gefühl verstärkte sich, als sie die Wohnzimmertür öffnete und ihr Blick auf die Sitzgruppe fiel. Elsa und ihr Vater. Wartend. Augen, die sich ihr zuwandten.
Am liebsten hätte sie kehrtgemacht, das Haus wieder verlassen. Aber sie wusste nicht, wohin sie hätte gehen können. Oder wollen.
Elsa sprang vom Sofa hoch. »Maxi«, sagte sie, hob die Arme, als erwarte sie, dass Maxi sich umarmen lassen würde. »Maxi, Liebes, wie geht es dir?«
»Es geht schon.« Maxi nickte ihrem Vater, der hinter Elsas Rücken die Augen rollte, kurz zu.
»Du musst nicht tapfer sein, nicht hier!« Elsas Stimme troff seifig durch die geschminkten Lippen. »Wir sind immer für dich da.«
Maxi verspürte einen Hauch von Übelkeit. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Das da war ihre Schwiegermutter. Eine Frau, die ihr Kind verloren hatte. Vielleicht war es dem ähnlich, was sie empfunden hatte, damals, nach dem Tod ihrer Mutter. Maxi wusste es nicht. Sie konnte sich nicht
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