Schnapsdrosseln
kaum über Wasser halten konnte? Einer Ehe, die am seidenen Faden hing? Es war längst zu spät. Aber es war ohnehin keine Lösung.
Es gab keine Lösung.
Das verstand jemand wie Karla nicht. Das konnte man ihr nicht vorwerfen. Sie hatte im richtigen Moment den Richtigen geheiratet, war schwanger geworden, hatte ein hübsches Häuschen gekauft in Ippendorf, wunderschön gelegen am Waldrand. Sie hatte einen Mann, der sie liebte, einen, der tüchtig war, mit sicherem Job. Sie hatte zwei fast erwachsene Kinder, einen Garten, in dem Äpfel und Beeren gediehen. Sie hatte Kindergeburtstage und Elternabende gemeistert, sie backte Kuchen, ging dreimal die Wochen laufen und arbeitete Teilzeit in einem netten Büro. Karla war perfekt organisiert, und sie war glücklich. Sie hatte jeden Grund dazu. Das konnte Anna ihr nicht vorwerfen. Es war nicht ihre Schuld, dass sie eine Art umgekehrter Spiegel war, alles hatte, was Anna wollte und nicht bekam.
»Wie hieß denn dieser Beamte?«, insistierte sie nun. »Ich rufe einfach mal an, das kann ja nicht schaden.«
Anna schüttelte stumm den Kopf.
»Hast du mit Jürgen telefoniert?«, bohrte Karla weiter.
Jürgen. Karlas Freund Jürgen. Jemand wie Karla hatte solche Freunde. Anwälte, Mediziner, Freunde, die nützlich, weil kompetent waren. Die man anrief, wenn nötig, um zu retten, was zu retten war.
»Das bringt doch nichts. Das kann ich machen, wenn er wieder da ist … wenn er zurückkommt …« Anna schluckte. Schniefte.
»Anna, Schatz!« Karla griff nach ihrer Hand. »Du darfst nicht so schwarzsehen. Natürlich kommt er zurück. Du kennst ihn. Du weißt, wie er ist.«
Das ist ja genau das Problem!, hätte Anna gern gebrüllt. Wir wissen alle, wie er ist. Schwach. Feige. Sanft, hatte sie gedacht, als sie ihn damals geheiratet hatte. Liebevoll, nachsichtig, freundlich. Ein perfekter Ehemann für das Leben, das sie plante.
»Er kommt nicht zurück«, sagte sie. »Nicht freiwillig. Nicht zu mir …«
»Das ist Unsinn!« Karla klang streng. Es gehörte zu ihrer Lebensphilosophie, Dinge, die nicht sein durften, zu negieren. Nach außen wenigstens. Vielleicht fragte sie sich heimlich, ob er wirklich unschuldig war. Genau wie Anna. Vielleicht stellte sie sich auch zwischendurch vor, dass er an irgendeinem Baum im Kottenforst hing. Im Rhein trieb, von einer Brücke gesprungen war, dass seine Flucht diesmal endgültig war. Aber das sagte sie nicht. Und eigentlich war Anna dankbar dafür.
»Ich bin müde«, sagte sie. »Karla, es tut mir leid, ich glaube, ich lege mich noch ein bisschen hin.«
Sie verließ die Küche, ignorierte das Seufzen ihrer Schwester, die anfing, den Tisch abzuräumen.
SIEBEN
Margot war hocherfreut, als Till anrief und sie um ein Treffen bat. Sie war noch immer stolz auf ihre brillante Idee, Britta undercover zu dieser Stefanie zu schicken. Allerdings war ihr ohne Britta und Louis die Zeit ein wenig lang geworden. Sie war ziellos durch Lengsdorf geschlendert, war beim Bäcker gewesen und bei Edeka. Sie hatte sich sogar auf dem Friedhof herumgedrückt. Aber nicht einmal dort hatte sie jemanden getroffen, der zum Plaudern aufgelegt war. Alle schienen in Eile, die Blicke gesenkt. Margot fragte sich, ob der Tod von Bernd Nolden diese Stimmung erzeugte.
So, das verstand sie langsam, kam sie tatsächlich nicht weiter.
Immerhin verfügte sie jetzt über genug Ortskenntnis, um die Schulstraße, die den Kreuzberg hinauf in Richtung Spielplatz führte, sofort zu finden. Till hatte den Treffpunkt vorgeschlagen. Sie war ein bisschen außer Atem, als sie oben ankam.
Till wartete auf einer der Bänke, die rund um das mit Palisaden abgegrenzte, sandbedeckte Areal standen. Schaukel, Wipptiere, Klettergerüst, beschattet von großen Bäumen des danebenliegenden Parks, an dessen Rand sich die Grundschule kauerte. Auf einer der anderen Bänke saßen zwei Mütter, tranken Kaffee aus einer Thermoskanne. Neben der Bank stand ein Kinderwagen, zwei kleine Jungen tummelten sich im Sand. Margot nickte zu ihnen hinüber und ließ sich neben Till nieder.
»Und?«, grüßte sie munter. »Alles im Lack?«
Er warf ihr einen irritierten Blick zu. »Klar«, sagte er. »Wenn man davon absieht, dass mein Onkel mordverdächtig und flüchtig und meine Tante ein nervliches Wrack ist, könnte es nicht besser sein.«
»Immer schön positiv bleiben«, mahnte Margot. »Nutzt niemandem, wenn du hier Trübsal bläst.«
Tills Blick heftete sich auf die Jungen im Sand, die gerade mit den
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