Schnarchen heilen
freie Genossen in einer neuen, gerechteren Welt!
Die Aristokraten hörten das Schnarchen ihrer Leibeigenen in den Nebengemächern ihrer Schlösser und spürten: Es sind viele, und sie könnten uns einmal gefährlich werden. In seiner Geschichte „Diener und Herr“ leistet Tolstoi der Oberschicht nun bewusst oder unbewusst Hilfestellung, indem er dieses Schnarchen umdeutet und in etwas Angenehmes, zu Beschützendes verwandelt. Dabei muss er den Kunstgriff anwenden, einen relativ jungen und keineswegs betrunkenen Burschen schnarchen zu lassen. Nikita ist ein schöner junger Mensch, sozusagen das Bild der Zukunft. Er schnarcht nicht primitiv oder gar bedrohlich, sondern sein Schnarchen gilt als Ausdruck eines beschützenswertens Lebens. So kann Tolstoi zeigen, dass sein „Herr“ gut ist, gebraucht wird und wenn nicht sogar unersetzlich ist. Denn das Verantwortungsgefühl des russischen Herrn geht so weit, im Notfall das Leben für seinen Leibeigenen hinzugeben. Er ist keineswegs der Blutsauger und Ausbeuter, sondern ein Kapitän, der das sinkende Schiff des zaristischen Russlands nur als Letzter verlassen würde. Auch in der Geschichte ist die Lage verzweifelt,d er Schlitten, in dem man reist, ist bereits umgestürzt, man befindet sich irgendwo in den Weiten des Landes, fernab von jeglicher Zivilisation, ist gefangen in einem Schneesturm. Das Pferd ist erfroren, der Kutscher ebenfalls, und der Herr kann den jungen Burschen Nikita nur retten, indem er sich auf ihn legt: „Er dachte überhaupt nicht an seine Beine oder Hände, sondern daran, den Diener, der unter ihm lag, zu wärmen. Er lauschte angestrengt, und dann hörte er Nikita atmen und leicht schnarchen. Nikita lebt, also bin ich auch am Leben, sagte er sich triumphierend.“ Das Bild ist klar: Diener und Herr leben in einer Symbiose. Der Diener spürt zwar das Gewicht des Herrn, aber er ist auch da, um ihn zu schützen und zu bewahren, und das unter Einsatz des eigenen Lebens. So erfriert in der Geschichte der Herr, und der Diener erwacht unter einem eisigen Gewicht, er wirft den toten Herrn ab und lebt weiter – eine Analogie, die der Aristokratie des 19. Jahrhunderts als böses Omen erschienen sein mag.
Nicht wundern darf es da, dass in derselben Kultur ein Mörder wie Dostojewskis Raskolnikow in „Verbrechen und Strafe“ ein Schnarcher ist. Raskolnikow ist Student, dem gleichwohl der Aufstieg aus der Unterschicht verwehrt bleibt – eine Tatsache, die sich erst nach der Mordtat zeigt, mit der er alle Hoffnung auf gesellschaftliche Akzeptanz verspielt hat. Er wird von einem unüberwindlichen Schlafbedürfnis übermannt und schnarcht tagelang „wie ein Hund“. Die Hoffnungslosigkeit dieses Schnarchens ist hier selbst verschuldet, mag aber Dostojewski als Symbol einer zeitgenössischen ganz allgemeinen inneren Abgestorbenheit gegolten haben. Das Schnarchen wird zum Ausdruck einer Abschottung, der Schnarchlaut zum Symbol einer für jeden Außenreiz unerreichbaren Tiefe.
Im westlichen Europa und Amerika des 19. Jahrhunderts spitzt sich das Verhältnis von Schnarchern und Nichtschnarchern indessen ebenfalls weiter zu, wenn auch auf einer weniger politischen Ebene. In Emile Zolas Roman „Nana“ wird ein ungeliebter, großartig auftretender Liebhaber im Schlaf aufgrund seines lauten, blubbernden Schnarchens zum Spottobjekt Nanas und ihrer Gefährtinnen. Edgar Allan Poe beschreibt ein „Schnarchen, das das Brüllen des phalarischen Stiers in den Schatten stellte.“ Worum es sich dabei handelte, kann mit dem heutigen Bildungsstand nur mehr von Fachleuten nachvollzogen werden, schrecklich aber wird dieses Schnarchen in jedem Fall gewesen sein. Mark Twain schildert in seinem Buch „Tom Sawyer auf Reisen“ das genervte Lauschen eines Menschen, der in Gegenwart eines Schnarchers nicht einschlafen kann: „Jim begann zu schnarchen - zuerst leise und blasend, dann vergleichbar mit einem langen Kratzen, und bald ertönten ein halbes Dutzend furchtbare Schnarcher, die sich anhörten wie Wasser, das den Badewannenausguss hinuntergurgelt. Dazwischen hörte man ein Schniefen wie von einer erstickenden Kuh und schließlich wurde dieses Geräusch noch einmal kräftiger und mündete in große Hustenstöße.“
Twain staunte, dass der Schläfer von diesen selbst verursachten, überlauten Geräuschen nicht erwachte – und doch reichte es aus, im selben Raum ein Streichholz anzuzünden, und es war um den Schlaf des Schnarchers geschehen. Aus dieser
Weitere Kostenlose Bücher