Schneckenmühle
wozu er sein «Ding» ja nur mit den Fingern in die richtige Richtung ziehen muß. Daß man nicht aus Fenstern pinkeln soll, ist eigentlich klar. Die Bestrafung besteht darin, daß er heute abend eine Stunde um den Appellplatz gehen und nachdenken soll, was er falsch gemacht hat. Sein Vater ist angeblich Schriftsteller, aber Eike lebt bei seiner Mutter.
Der Begrüßungs-Appell, eigenartig, daß es so etwas hier geben soll, das paßt gar nicht zu den Ferien. Die Pioniertücher haben wir mit, manche auch das weiße Hemd oder schon ein FDJ-Hemd, aber das zieht kaum einer an. In den Ferien ist man doch der Autorität der Lehrer entzogen, das spürt man. Es gibt ja auch keine Zensuren. Als schlimmste Strafe kann man nach Hause geschickt werden, wovor man natürlich Angst hat, aber das ist nicht zu vergleichen mit einem vor versammelter Schule ausgesprochenen Tadel. Und ich habe nur einmal erlebt, daß ein Kind verbannt wurde, weil es Bettnässer war.
Die anderen haben Angst, daß die Disko gestrichen wird. Oder daß wir nicht «zu den Tschechen» fahren, denn für die größte Gruppe steht das auf dem Programm. «Tschechei» soll ich nicht sagen, mein Vater meint, das sei ein Nazi-Begriff. Bei den Tschechen gibt es Hörnchen, darauf freuen sich alle, nur ich verstehe nicht, was damit gemeint sein soll. Was soll man denn mit Hörnchen? Ich kann esgar nicht glauben: ins Ausland! Ich wollte immer in den Ferien ins Ausland fahren, aber mit uns ist das meinen Eltern zu anstrengend. Roberto fährt jeden Sommer an den Balaton, auf dem Wasser schwimme ein Film von Sonnenschutzmittel, und die westdeutschen Touristen, die zuhause alle arbeitslos seien, bauten Türme aus Sektgläsern. Der Erich Honecker von Ungarn heißt János Kádár. Komisch, daß bei uns in allen Gebäuden ein Honecker-Bild hängt, manchmal neben einem von Stoph, aber in Wohnungen habe ich diese Bilder noch nie gesehen. Ich kenne alle sozialistischen Generalsekretäre, außer von Vietnam und der Mongolei. Dazu muß man nicht mal lernen, das weiß man irgendwie von selbst. Damit hatte man schon fast eine Eins in Heimatkunde sicher, man mußte dann nur noch wissen, daß das Nest vom Raubvogel «Horst» heißt, der Mann der Ente «Erpel», und daß Narvik der nördlichste eisfreie Hafen der Welt ist, was es dem Golfstrom verdankt. Und Rostock wird das «Tor zur Welt» genannt. Als ich das meiner Mutter erzählte, sagte sie: Rostock? Hamburg ist viel größer! Da verlaufe man sich richtig.
Leider haben wir jetzt «Geographie» und nicht mehr «Heimatkunde». Am Beginn der Stunde wird einer zur Landkarte beordert und muß zehn Fragen zur Topographie beantworten. Mit dem Zeigestock drauftippen: «Leipziger Tieflandsbucht», «Magdeburger Börde», «Kursker Becken» und «Ploieşti und Piteşti». Die Baumgrenze am Brocken, wie sich die erkläre? Ausgerechnet Irina, deren Eltern in der Partei sind, meldet sich: Damit man die Flüchtlinge besser sieht.
Der Lehrer zeigt uns die Sowjetunion. Zwei Drittel des Territoriums seien unzugänglich, 70 % von Sümpfen und«Permafrostboden» bedeckt. Dort Straßen und Flugplätze zu bauen, bedeute, den Boden mit Gold zu pflastern. Und da komme dann «so ein Spezialist» und frage, warum denn in Sibirien kein Getreide angebaut werde? Dann müßte die Sowjetunion nicht, wie gerade geschehen, Weizen aus den USA importieren. Aber bei dem Klima! Von 40 Grad plus bis 40 Grad minus. Dazu die Mücken. Und in Amerika sei ja auch kein Schuß gefallen im Zweiten Weltkrieg. Die Preise im Westen: alles immer mit 99 Pfennig am Ende. Da sehe man doch schon, wie die die Menschen für dumm verkauften. 3,99 Mark, gerade mal ein Pfennig weniger als 4 Mark, aber es klinge natürlich gleich viel billiger. Sowieso gehöre dort alles «Unilever».
Und jetzt mal den längsten Fluß von Afrika zeigen. «Harry Piel sitzt am Nil und wäscht sich seine Füße mit Persil.» Durfte man denn als Lehrer im Unterricht «Persil» sagen? Das war schon ein wenig gewagt, hatte man den Eindruck. «Persil, da weiß man, was man hat». Ich verstehe das Prinzip von Werbung nicht. Wenn eine Firma Werbung macht, gibt sie doch zu, daß ihr Produkt es nötig hat?
Meliorationsmaßnahmen,
Be
- und
Ent
wässerung.
In
tensivierung der Landwirtschaft, nicht
Ex
tensivierung, chemischer Dünger und Ernten im Dreischichtsystem, rund um die Uhr, was nur in der LPG möglich ist, wo man dafür auch Urlaub hat, davon hätte ein Bauer früher nur träumen können.
Faltengebirge,
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