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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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«12-Zylinder-Boxer?» Ich habe mir angewöhnt, die Hände hinter dem Rücken zu falten, so komme ich mir würdevoller vor. Karl Marx ist so immer in seinem Arbeitszimmer im Kreis gelaufen, beim Nachdenken, deshalb hatte der Teppich dort am Ende seines Lebens eine runde Spur. Schade, daß ich nicht ein bißchen humple.
    Marko kann Fliegen mit der Hand fangen. Das muß man üben, bis man es auch kann, obwohl es unmöglich scheint. Man muß sie von vorne erwischen, das ist der Trick, dann fliegen sie einem in die Hand. Oder von hinten, damit sie möglichst lange nichts sehen? Hat man eine? Mal nachsehen, schwups, da ist sie weg. «32 heb auf»? Das kenne ich schon, aber man kann es einem von den Kleinenzeigen. Eike macht mit Zeigefinger und Daumen einen Ring und läßt den Zeigefinger der anderen Hand um das Loch kreisen. «Was ist Fußball? Fummeln, fummeln, bisser drinne is …» So ganz kapiere ich das nicht, aber da es von Eike kommt, ist es sicher wieder was «Schweinisches». Wer so etwas erzählt, hat meistens Schorf an den Lippen oder sogar violette Brandnarben im Gesicht. Und einen Vater, der seinem Kind, wenn er betrunken nach Hause kommt, Geld aus der Sparbüchse klaut.
    Ein Rasenstück ist für mich historisch. «Junge!» hat hier einmal einer zu mir gesagt, das war als Drohung gemeint gewesen, ich hatte das gar nicht verstanden. Sofort lagen wir im Gras, und ich versuchte vergeblich, ihn abzuwerfen. Ein Mädchen sagte: «Der hat ’ne Brille», und deshalb wurde ich wieder freigelassen. Jetzt hatte ich mich geprügelt, aber ich wußte überhaupt nicht, wie es dazu gekommen war. In Zukunft würde ich mich vor Jungen mit Igel in acht nehmen.
    Gleich am ersten Tag sollen wir an unsere Eltern schreiben. Aber was? Daß der eine immer rülpst, und der andere behauptet hat, man könne seine Furze anzünden? Daß Eike nur eine Hose mithat, obwohl er alle drei Durchgänge mitmacht? Daß irgendeine «Peggy» immer zu spät kommt? Die Mädchen verfassen lange Berichte und schreiben auf den Briefumschlag: «Briefträger eile, Judith hat Langeweile.» Von meiner Mutter ist schon eine Karte gekommen, sie hat sie vorgeschrieben, damit ich gleich am ersten Tag Post habe. Wir denken uns die kürzestmögliche Karte an unsere Eltern aus: «Liebe Eltern, mir geht es gut. Schickt bitte Geld, Euer Jens.»
    Es ist verboten, unbeaufsichtigt über die Straße zu gehen, darauf achtet die Brückenwache, unterstützt von der «Gruppe vom Dienst», die an dem Tag vor den anderen aufstehen muß. Wenn genug zusammengekommen sind, sperrt die Wache die Straße mit einem echten Verkehrsstab, der Batterien hat und im Dunkeln leuchtet. Zum Essen im «Steinhaus» gehen wir immer gruppenweise. «Wir überqueren die Straße geschlossen!» Wir dürfen auch nicht unbeaufsichtigt im Bach spielen, weil wir uns sonst eine Blasenentzündung holen.
    Broiler wird bejubelt, obwohl man ihn «Gummiadler» nennt, Kochklops geht auch noch. «Tote Oma», «Kinderpuller», «Verkehrsunfall», «Moppelkotze» und «Elefantenpopel» sind weniger beliebt.
    «Leber darf man nur einmal im Monat essen, sonst vergiftet man sich.»
    «Mostrich ist aus Schweineblut.»
    «Ich denke Lakritze?»
    «Nee, die ist aus Pferdeblut.»
    «Warum gibt’s denn nie Pommes Frites?»
    «Na, willst du die Kartoffeln schneiden? Das machen die Behinderten.»
    «Kann ich deinen Nachtisch haben?»
    «Was gibt’s denn?»
    «Pflaumenkompott.»
    «Da schwimmen immer Maden drin.»
    «Na und? Ist doch was Natürliches.»
    Für das Essen stehen wir an der Essenausgabe an, wo die dicke Köchin mit einer Alu-Kelle aus großen Töpfen Suppe schöpft. Die Frauen wohnen im nächsten Ort, man sieht durch die Luke immer nur Teile von ihnen in ihrem dampfendenReich, aber man empfindet sie als Verbündete, so dicke Frauen können es nur gut mit Kindern meinen. Es liegt ihnen am Herzen, daß jeder satt wird, sie sind sich sogar mit den Leitern uneinig, was uns schmecken müßte. Die Gruppen sitzen an langen Tischen. Ich habe Angst, daß jemand mein Pflaster bemerken könnte. Suppe ist mir lieber, weil ich mit der rechten Hand den Löffel halten und die linke unter dem Tisch verstecken kann. Eike spielt mit seinem Löffel «Fahrstuhl», das Aluminium läßt sich ja leicht verbiegen, die Zähne der Gabeln zeigen immer in alle Richtungen. Eike hat einen 90-Grad-Knick in den Griff gemacht und fährt damit senkrecht vom Teller zum Mund hoch. Im Westfernsehen war mal Uri Geller zu sehen, der es schaffte,

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