Schneckenmühle
Schwefel, sondern von den Pollen. Man müßte mehr Strom sparen, weil die Kohle nicht reicht, und ein Atomkrieg würde keinen Sieger kennen. «Die Gefahr eines nuklearen Infernos» nannten sie es in der Zeitung. Manchmal sage ich Dinge, obwohl ich sie gar nicht sagen will, aber sie klingen so, wie ich denke, daß Erwachsene es hören wollen, man möchte sie ja nicht enttäuschen. Es ist schwer, ihnen gegenüber den Ton zu treffen, man kann gar kein Wort normal benutzen, unwillkürlich stammelt man. Wenn ein Erwachsener sich zu uns stellt, fühlt sich das immer so an, wie wenn bei Biene Maja ein Mensch vorkommt.
Jede Gruppe darf mal in die Bastelbaracke. Man gießt Gummiformen mit Gips aus und erhält ein Porträt-Relief von Goethe, ein Geschenk für die Mutter. Kronkorken-Mäuse werden gelötet, Figuren aus Nudeln geklebt und mit halbierten, hölzernen Wäscheklammern Spiegel gerahmt. Manchmal wird der Muffel-Ofen angeworfen, und wir brennen bunte Emailleplaketten. Wir basteln Buttons aus einer Sicherheitsnadel und einem glatten Knopf, der mit Nitrolack bemalt wird. Meine Schwester hat für so etwas Aufträge der ganzen Schule angenommen, weil sie so gut zeichnet. Bei ihr habe ich gelernt, daß man «NeilYoung» raufschreiben kann, mit Western-Buchstaben. «Young» heißt «jung», das kann man sich denken. Ein gelbes Mondgesicht geht auch. Das kenne ich aus einem Witzbuch, wo jemand im Dschungel eine Wäscheleine mit Schrumpfköpfen findet, unter anderem dieses Mondgesicht. «Was macht Smiley hier?» Den Witz hatte ich nie verstanden.
Einen Dietrich müßte man feilen, leider habe ich keine Anleitung dafür. Ich habe nur alle Schlüssel-Rohlinge aus dem «Heimwerker» am Bahnhof in Buch. Ich bin begeisterter Bastler, allerdings nur in der Theorie, weil mir immer bestimmte Teile fehlen. Manchmal darf ich mir die «Practic» kaufen, in der Leser ihre Erfindungen präsentieren. Wie man einen Fallbleistift als Ersatzgriff für eine abgebrochene Stricknadel einsetzen kann. Oder aus einer umgedrehten Fitflasche einen Schnurspender baut. Ein altes Telefon als Lötkolbenständer. Wenn ich Glasfaserkabel hätte, das kann Licht um die Ecke leiten. Das könnte man am Fahrrad anbringen, um während der Fahrt zu sehen, ob das Rücklicht brennt.
Ich stelle mir aus den Informationen der anderen einen Wochenplan aller Radiosendungen auf RIAS und SFB zusammen, die ich zu Hause hören will. Wenn ich nur mehr leere Kassetten hätte! Matthias sagt, aus einem Reparatur-Set für Kassetten kann man sich eine Kassette zusammenbauen, die dann billiger ist als eine neue. Er kennt sich mit Elektronik aus. Er weiß sogar, was ein Schmidt-Trigger ist. Vielleicht wäre Elektriker ein Beruf für mich, mit Strom zu tun zu haben, das klingt modern. Erst einmal könnte man daran denken, eine Lichtschranke zu bauen, oder ein Zahlencodeschloß für die Wohnungstür. Leider weigert sichmein Vater, dafür ein Loch in die Wand zu bohren, und vorher hat es gar keinen Sinn anzufangen. Robertos Vater hat sogar mit Leuchtdioden Notlichter in ihre Lichtschalter gebaut. Wenn Roberto schlechte Laune hat, sagt er zu ihm: «Du bist gar nicht mein richtiger Vater.» Mit seinem «richtigen Vater» fährt er alle paar Wochen Ruderboot.
Daß wir einen Computer haben, interessiert alle, ich habe schon Angst, daß sie mich nach den Ferien besuchen kommen. Bei manchen hat der Vater einen im Betrieb, und die Kollegen spielen dort heimlich ein Spiel, bei dem man ein UFO landen muß. «Das ist aber nur Pseudographik», sagt Matthias. Er hat mit seinem Vater aus einer Seifenschachtel, zwei Holzkugeln und zwei Lichtschrankenbausätzen eine Steuerung gebaut, mit der man den Cursor auf dem Bildschirm bewegen kann, ohne die Tastatur zu berühren.
Dennis behauptet, man könne einen Oszillographen, wie wir ihn in Physik benutzen, so umbauen, daß man darauf Tele-Tennis spielen kann. Alle haben auf dem Rummel lange Stunden zugesehen, wie die Größeren «Donkey Kong» spielen, selber kommt man ja nicht ran. Wir tragen unser Wissen über Computerspiele zusammen, Verfolgungsjagden, Schießereien, Schätze suchen und vor allem Überleben, denn wenn man dreimal stirbt, war die ganze Mühe umsonst, und man muß wieder von vorne anfangen. Man will aber weiterkommen, in unbekannte Gebiete. Wo es Dinge gibt, die noch kein Auge gesehen hat. Matthias hat bei «International Karate» mal vor Ärger wild auf die Tasten eingehackt, und plötzlich rutschten den beiden Kämpfern die Hosen
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