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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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schon länger. Ich komme mir lächerlich vor in meinem gestreiften Schlafanzug, der mir schon seit Jahren paßt. Wie der dritte von den Bee Gees, von dem niemand den Namen kennt.
    Bei den Mädchen sieht es ganz anders aus, sie haben ihre Handtücher ordentlich zum Trocknen auf die Leitern gehängt. Auf den Hockern stehen Schminksachen und Spraydosen. Neben der Eingangstür hängt ein Spiegel, sie benutzen ihn, wenn sie sich die Haare toupieren, oder wenn sie sich mit Spray bestäuben. Am liebsten machen sie eine Wolke und laufen durch. Welches Spray am besten riecht, darüber sind sie nicht immer einig. Sie leiern ihre Pullover absichtlich aus, damit sie schön weit sind und eine Schulter nackt bleibt. Manche schreiben fieberhaft in abschließbare Tagebücher, weil sie einer Freundin versprochen haben, in den Ferien alles aufzuschreiben und es sich anschließend gegenseitig zum Lesen zu geben. Früher haben sie mit nie nachlassender Sorgfalt die Haare ihrer Puppen und Puppenpferde gekämmt. Manchmal machen sie Kopfstand, wenn sie nicht aufhören können zu gackern.
    «Da kommt wer!» Vom Steinhaus nähert sich jemand mit Taschenlampe. Panik erfaßt uns, alle flüchten durchs Fenster,es fühlt sich an, als wäre man auf einem untergehenden Schiff, jeder will noch ins Rettungsboot und tritt alles nieder, keiner will der letzte sein. Ich verliere unterwegs einen Hausschuh und finde ihn im Gras nicht gleich wieder, deshalb komme ich nicht mehr über den Zaun. Die Gestalt leuchtet in Richtung des Waldsaums. Ich höre das Ratschen einer handbetriebenen Taschenlampe. Ob ich in dem schwachen Licht zu sehen bin? Ich bleibe bewegungslos stehen, schließe die Augen und warte darauf, herangerufen und abgeführt zu werden. Ich muß direkt im Lichtkegel stehen. Soll ich so tun, als sei ich mondsüchtig, und zusammenbrechen, wenn ich angesprochen werde? Das Geräusch entfernt sich wieder. Wer war das? Hat er mich gesehen? Ich klettere durchs Fenster in den Bungalow, jetzt bin ich die Attraktion, ich kann es kaum erwarten, von meinem Abenteuer zu berichten. Wenn man etwas ganz alleine erlebt hat, steht das höher im Kurs.
    Wir sind jetzt zu aufgeregt zum Schlafen, immer wieder erzählen wir uns von dem Moment, als Holgers Stimme sich in der Dunkelheit gemeldet hat, und wir versuchen, sie nachzumachen. Ich berichte von meiner Erfindung mit der Zahnpasta, ich muß natürlich beschreiben, was ich gesehen habe. «Kurvendiskussion!» Marko krümmt sich wieder, was für Qualen er leidet! Dennis stellt sich im Bett aufrecht hin und tut so, als mache er einen Striptease für uns. Wir richten unsere Taschenlampen auf ihn, durch Drehen am vorderen Teil kann man ja den Lichtstrahl fokussieren. Dennis steht im Spot sich kreuzender Lichtkegel. Wir singen eine Art Tango, das paßt traditionell zum Ausziehen. Dennis läßt seine Hose runter, und wir sehen seinen halb aufgerichteten Penis, lang und krumm wie die Nase von Gonzo. Hoffentlich sind wir jetzt nicht alle schwul.

17 Auf der Chaussee gehen wir zum Weinbergfest nach Nenntmannsdorf. Immer so gehen, daß man die Autos kommen sieht. Die Mädchen tragen lange, schwarze Strumpfhosen, bei manchen sehen sie etwas ausgeleiert aus. «Pantalons» sind modern. Die eine, die schon bei der Abreise aus Berlin nur eine Strumpfhose trug, behauptet, sie habe eine Schilddrüsenüberfunktion und schwitze deshalb leicht. Ab und zu lösen sich zwei kichernd und rennen ein paar Meter vor. Ich kann die meisten Mädchen immer noch nicht auseinanderhalten, vor allem, weil sie ständig untereinander ihre Sachen tauschen. Feucht steigt es vom rauschenden Bach auf. Wilder Rhabarber und Farn am Straßenrand. Dutzende Schnecken liegen in Knäueln unter den Blättern. «Die ficken», hatte einmal mein ältester Bruder gesagt, und ich mußte dreimal nachfragen, weil mir das Wort neu war. Eike kann im Gehen pinkeln, er zieht einfach die Trainingshose ein Stück runter. Dennis rülpst immer noch ununterbrochen. Bei Regen weigert er sich, eine Jacke anzuziehen, er laufe ja so schnell, daß er «unter den Tropfen durch» laufe.
    Es gibt eine «Indianerschau» mit Indianern und Lassos schwingenden Cowboys. Zu gerne würde ich so ein Lasso haben und wissen, wie man es benutzt. Das muß so praktisch sein, einfach alles zu sich heranziehen zu können, ohne selbst hingehen zu müssen. Eine Gruppe «Kaskadeure», die für den Film arbeiten, führt vor, wie man einen Pfeil schießt, nämlich an einer unsichtbaren Schnur, direkt ins

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