Schneckenmühle
wachsen, wie eine Schneekugel. Kurz bevor er den Weg kreuzt, bleibt er krachend an einem Baumstamm liegen. Oben erscheint Eikes Gesicht, wir hatten ihn kurz aus den Augen verloren.
Der Wildpark mit Vogelkäfigen. Falke, Bussard, Habicht, aber am besten klingt Milan. Ein Gehege mit Mufflons. Daß die so riechen und dann so heißen? Leider gibt es keine Hängebauchschweine. Ein Amphitheater mit felsiger Naturkulisse, man nimmt auf Holzbänken Platz. «Der Schatz im Silbersee». Die Schauspieler schreien, um vom Publikum verstanden zu werden, teilweise sind sie einfach zu weit weg. Einer der Bösen stürzt nach einem Feuergefecht spektakulär von einem Fels in die Schlucht, sicher liegt dort ein Berg Matratzen. Wie man einen Pfeil ins Herz schießt, wissen wir ja jetzt, das ist alles nur ein Trick. Die angemalten Rothäute sprengen auf ihren Gäulen vorbei. Es riecht nach Pferdemist. «Starket Tomahawk, is ditt echt?» sage ich etwas laut. Ich bin manchmal so übermütig, daß ich etwas sage, was mich selbst überrascht und mir sofort peinlich ist. Ich spüre dann, daß ich diese Begebenheit nie wieder vergessen werde.
In der Pause gehen wir noch einmal zum Milan. Ein Bein ist angekettet. Wenn er nicht so scheu wäre und sich den Menschen öfter aus der Nähe zeigen würde, müßte er sein Leben nicht in Gefangenschaft verbringen. Es gibt ja auchkeine Spatzen oder Tauben im Tierpark, die stellen es schlauer an. Bei der Rückkehr zu den Sitzen sind die anderen ganz aufgeregt. Ein Indianer und ein Cowboy seien in der Pause gekommen und hätten Eike in den Schwitzkasten genommen, weil sie dachten, er hätte das mit dem Tomahawk gesagt. Ich fühle mich schuldig, aber ich bin auch froh, daß es mich nicht erwischt hat, Eike ist es schließlich schon gewöhnt, Ärger zu bekommen.
Mittagessen in einer Gaststätte an der Elbe. Auf der Karte steht unter «Aus Neptuns Reich» «Forelle nach Müllerin Art». Wir warten lange auf das Essen, ich nasche vom Salz aus dem Streuer, bei den Salzstangen ißt man das ja auch am liebsten. Aber es macht nicht satt. Den Pfeffer streuen wir uns auf den Daumen und nehmen «eine Prise», wie «Bundeskanzler Helmut Schmidt». Ein paar Tropfen «Wuschter»-Sauce, die immer neben einer grünen, geriffelten Preßglasvase mit einer Kunstblume steht. Wir probieren, wer die meisten Bierdeckel an der Tischkante hochschlagen und in der Luft auffangen kann. Am Stammtisch sitzen alte Männer und spielen Skat. Man darf auf keinen Fall kiebitzen, das ist hier eine ernste Sache. Sie knallen die Karten so schnell auf den Tisch, als hätten sie das vorher gemeinsam einstudiert. Sich das Recht zu erwerben, am Stammtisch zu sitzen, das fasziniert mich. Aber man darf nicht aus Versehen die Glocke läuten, dann muß man für alle eine Runde bezahlen.
Ein an beiden Armen tätowierter Mann mit langen, dünnen Haaren bringt uns schließlich Nudeln mit Tomatensauce. Er trägt immer mehrere Teller gleichzeitig und stapelt sie so ungeschickt, daß am Tellerboden Nudeln kleben. Rita regt sich auf, weil wir so laut sind, und er äfftsie nach. Wir haben lange nicht so etwas Komisches erlebt, der machte sich ja überhaupt keine Platte! Der war bestimmt «Knastrologe», wegen der Tätowierungen. Seltsam, daß man auch in der DDR ins Gefängnis kommen konnte.
Die Kleine Bastei, ich kann nicht über die Mauer gucken, mit gestreckten Armen muß ich mich davon fernhalten, weil ich Angst habe, mein Körper könnte sich gegen meinen Willen drüberschwingen. Aus einer Ferienlagergruppe sei mal ein Kind hinuntergestürzt, der Kopf ist ja schwerer als der Körper und zieht ihn einfach mit. Die Leiterin habe sich gleich hinterhergeworfen, weil sie ihr weiteres Leben ohnehin im Gefängnis verbracht hätte. Die Barbarine, ganz klein sieht man, wie sich Bergsteiger am Fels festkrallen, mir ist es unbegreiflich, wie man sich solch einer Gefahr aussetzen kann. Wenn sich gerade jetzt der obere Stein löst?
20 In Dresden dürfen wir alleine durch die Stadt spazieren, einmal die Prager Straße hoch, bis zur «Straße der Bereifung», und wieder zurück. Vielleicht gibt es irgendwo Margonwasser zu kaufen? Ich komme mir vor, wie eine Figur aus einem Film, ich rechne immer damit, daß mich mal ein Regisseur anspricht, ob er einen Film über mich drehen darf und ob ich vielleicht sogar bereit wäre, mich selbst zu spielen. Es ist seltsam, in einer anderen Stadt zu sein. Daß hier auch Menschen leben und das für sie die Heimat ist. Keinem,
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