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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Käuzchenruf nachmachen, mit Daumen und kleinem Finger an der Tischkante eine komplizierte Choreographie aufführen und durch Schnipsen gegen den Gaumen ein Glucksen erzeugen, als würde ein Wassertropfen in einen unterirdischen See fallen. Aber ich würde das alles sofort eintauschen, wenn ich dafür tanzen könnte. «Hat sich schon mal einer totjemischt», sagt Marko. Irgendwo in dieser Gegend hat Karl May gewohnt. Der
war
ja in Wirklichkeit nie in Amerika. «Old Shatterhand» heiße auf deutsch «alte Schmetterhand», das klingt ja auch schon so. Aber «Old Surehand»? Und wer von beiden ist wohl der Stärkere? Lex «Parka» sei eines Tages tot umgefallen, einfach so, auf der Straße.
    Die braune Sani-Tasche ist jetzt endgültig ein Stigma. Der dünne Riemen scheuert, und man fürchtet nichts so, wie etwas tun zu müssen, was nicht alle tun müssen. Aus Protest wird sie hinterhergeschleift, oder man schleicht sich von hinten an jemanden an, wirft ihm den Riemen über den Kopf und rennt schnell weg. Der andere wirft die Tasche sofort ab. Dann ist es eine Frage der Nerven, wer von beiden nachgibt und zurückgeht, um die Tasche zu holen. Das schwarze Dreiecktuch zum Stützen gebrochener Arme ist allerdings inzwischen ein Geheimtip, weil man es als Halstuch benutzen kann.
    Auf der Festung Königstein gucken wir in einen Brunnen, wie tief der ist, da käme man nicht so schnell wieder hoch. Und Böttiger, der das Porzellan erfunden hat, obwohl er Gold herstellen sollte. Deshalb gibt es ja Meißner Porzellan, das ist das mit den zwei Schwertern, sogar im Westen sind sie scharf darauf. Man ahnt ja gar nicht, was bei uns wertvoll ist. Mein Onkel bekommt von meiner Mutter jedes Jahr eine neue Ludwig-Güttler-Platte mit Trompetenmusik geschickt. Dieser Mann spielt genau, wie Bach es sich gedacht hat, und das, obwohl er aus der DDR ist und wie ein Oberkellner aussieht. Die amerikanischen Soldaten kaufen in Berlin Meißner Porzellan und Pentacon-Kameras von Carl-Zeiss-Jena. Seltsam, daß der Betrieb fast wie das «Pentagon» heißt. Ein Japaner berichtet von einem Besuch in der DDR, ein herrliches Land, die vielen Museen! «Pergamon, Pentacon, Robotron …»
    Schlimme Zeiten, als man einfach so in ein Verlies eingesperrt werden konnte, «bei Wasser und Brot». August der Starke, wie viele Kinder der hatte, über dreihundert. Ein Hufeisen konnte er verbiegen mit der Hand, ist dasdenn so schwer? Dieses Lied mit den unendlich vielen Strophen: «
Auf der Festung Königstein, jumheidi, jumheida …
» Das sollen wir mal alle lernen für die Abschlußfeier, sagt Rita, dann hätten wir wenigstens etwas zu tun. «
Das Baby hat ’n Glaspopo mit Schiebetür und Radio.
»
    Wir drängen uns um den Kiosk und bestaunen die Andenken. Eine kleine Ampel als Schlüsselanhänger. Miniwürfel in einem aufschraubbaren Plaste-Pilz. Ein Clownskopf aus Plaste, wenn man hinten ein Stäbchen drückt, streckt er die Zunge raus. Den kaufe ich mir jedes Jahr, ich muß einfach irgendetwas kaufen, der Wunsch ist nicht zu beherrschen. Man müßte alles Geld der Welt haben, obwohl das natürlich noch kein Menschenleben aufwiegen würde. Oder Gold schürfen, vielleicht ist ja sogar im Trinkwasser welches, wenn man nur genug davon durch ein Sieb laufen läßt? Eine Packung mit drei Plasteflugzeugen, die kann man in der Badewanne unter Wasser landen lassen, das sieht fast aus wie in echt. Ich finde es herrlich, wenn Dinge klein sind, das ist ja das Schöne an Souvenirs. «Souvenir» heißt «Erinnerung». Ein Mini-Ansichtskarten-Leporello mit Motiven aus dem Elbsandsteingebirge, es hat einen silbernen Verschluß. Schildchen mit Bildern von beliebten Ausflugszielen, die man sich an den Wanderstock nagelt, nachdem man dort war, bei manchen älteren Herren ist schon der ganze Stock mit diesen Trophäen verziert. Wenn sie die Karte studieren, hängen sie ihn in den Ellbogen. Kaum vom Dampfer gesprungen, streben sie mit schnellen, entschlossenen Schritten den Berg hinauf, wir sehen sie nicht wieder.
    Auf dem Weg zur Felsenbühne Rathen reißt die Gruppe auseinander, vorne sind welche so ins Gespräch vertieft,daß sie vergessen, das Laufen anstrengend zu finden, und hinten haben manche schon die Hoffnung verloren, es überhaupt noch zu schaffen. Sie gehen nur weiter, weil es oben für jeden eine Flasche Brause mit Strohhalm geben soll. «Aufschließen, da hinten!» Plötzlich rollt ein Findling den bewaldeten Hang auf uns zu, er wird immer schneller und scheint zu

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