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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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den man sieht, wird man je wiederbegegnen. Die Häuser sehen aus wie in unserem Wohngebiet, es kommt mir vertraut vor, aber gleichzeitig falsch. Gerade weil die Bauelemente wie bei uns aussehen,aber sie haben sie anders zusammengesetzt. Wenn meine Mutter findet, daß es uns zu gut geht, erzählt sie uns, wie sie mit dem letzten Zug aus Ostpreußen geflüchtet sind, die ganze Zugfahrt auf einem Fäßchen Senf. In Dresden hätten die amerikanischen Tiefflieger Jagd auf Menschen gemacht. Die stürzten sich in die Elbe, aber der Phosphor brannte im Wasser weiter. In den Zeigern meiner Uhr habe ich auch Phosphor, damit sie im Dunkeln leuchten. Dazu muß man sie vorher mit der Taschenlampe aufladen. Ich weiß nicht, was ich mir schlimmer vorstellen soll, verbrennen oder ertrinken.
    An einer Litfaßsäule, «Litfaß war ein Mensch!», hängt ein Plakat: «Tage des sozialistischen Laientheaters des Bezirkes Dresden». Im Schaufenster von einem Lampenladen steht eine Flasche «Privat»-Sekt mit einer Kerze drin, das kenne ich schon aus Berlin. Im Plattenladen gibt es genau die gleichen Platten wie in Buch, Harry Belafonte, ein Dutzend Alben von «Marek & Vacek», «Das zündet – Tanzmusik für junge Leute», und diese Jazz-Reihe mit dem schwarzen Cover, die nie jemand kauft. Mit den Fingern flippt man sie alle durch. Ich überlege lange, ob ein Album der Band «Saga» ein Glücksfund oder ein Ladenhüter ist. Vielleicht gibt es ja auch im Westen schlechte Bands? Dickliche Männer mit Fußballer-Frisuren lehnen an einer Wand. Nur einer sieht weniger altmodisch aus, er trägt einen Hosenanzug mit bis zum Bauchnabel geöffnetem Reißverschluß. Sie sind schon einmal in der DDR aufgetreten, das spricht eigentlich gegen sie. Auf der Rückseite vom Cover steht: «
Das Publikum in der DDR hatte Gelegenheit, zu sehen, daß Perfektion nicht immer das Gegenteil von Feeling sein muß.
»
    Es gefällt mir in Dresden, wieviel Platz hier überall ist. Auf der großen Rasenfläche vor dem Bahnhof entdecke ich die anderen, wir freuen uns, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Endlich sind wir wieder vereint. Kaninchen hoppeln von Busch zu Busch. Birgit guckt verschwörerisch und zieht den Reißverschluß ihrer Sporttasche ein Stück auf, mehrere grüne Flaschen Wein kommen zum Vorschein. Aber Mund halten!
    Ein Polizist nähert sich. Ich denke daran, was unsere Westverwandten immer sagen, daß man an der Grenzkontrolle auf keinen Fall die Stirn runzeln darf, sonst schöpfen sie Verdacht, und es dauert viel länger. Vor Frauen muß man sich besonders in acht nehmen, die kontrollieren gründlicher. Unsere Verwandten haben es immer so schwer, in unser Land zu kommen, dagegen sind unsere Schwierigkeiten, das Land zu verlassen, geradezu lächerlich. Am meisten beschäftigt sie immer, wie sie in der kurzen Zeit unser wertloses Geld loswerden sollen. «Ihr seid ja nur so großzügig, weil euer Geld nichts wert ist», hat meine Tante zu meiner Mutter gesagt, als sie einmal Schnitzel auftischte.
    Ich bemühe mich, nicht die Stirn zu runzeln, aber ausgerechnet jetzt zucken meine Augenbrauen immer hoch.
    «Warum unterhalten wir uns?» fragt der Polizist.
    «Das sind nicht unsere», sagt Holger.
    «Was?»
    Er zeigt auf ein Kaninchen: «Die sind nicht von uns.»
    «Du führst hier wohl das große Wort?»
    «Was haben wir denn gemacht?»
    «Das kann doch kein Dauerzustand sein.»
    Der Polizist verlangt 3 Mark Strafe, weil wir auf dem Rasen sitzen. Holger gibt ihm 4 Mark und sagt: «Stimmt so, Herr Hauptsturmführer.»
    Wir schaffen es kaum, das Lachen zu unterdrücken, bevor er weg ist. Dennis behauptet, die Polizisten würden ein Milch-Deputat bekommen, damit ihr Körper das Blei von den Abgasen wieder ausscheidet, denen sie bei der Arbeit ausgesetzt sind.
    Am Hauptbahnhof haben wir noch Zeit und drücken die Knöpfe sämtlicher Gepäckfächer, bei manchen purzelt tatsächlich nicht entnommenes Geld heraus. Wir sehen uns im Intershop um. Viele Süßigkeiten sind von «Hitschler», waren das die Erben von Hitler, die sich umbenannt hatten? Die Platten, «Kool & the Gang», die hätte Matthias gerne. Während bei unseren Platten auf der Rückseite kleine musikwissenschaftliche Essays abgedruckt sind, wird hier kein Platz verschwendet. Die Cover sind so abwechslungsreich, mit Computergraphiken und mit ganz unbekannten Schriftarten. Wer von den schwarzen Jungs, die mit so lässigen Verrenkungen auf den Betrachter zutanzen, ist wohl «Kool»? Was bedeutet

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