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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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es, daß er eine «Gang» hat?
    Es duftet nach Kaffee, Schokolade, Waschmittel und Parfüm. Es gibt hier nichts, was man nicht gerne hätte. Durchsichtige Seife, die nach Apfel riecht. Eine Bierdose in Gestalt eines Fasses. Eine Riesenflasche «Metaxa» mit einem Zapfhahn. Ob die je irgendwer kauft? Ein Monchichi in Menschengröße. Die unbegreifliche Luftschokolade. Das Waffeleis ist in Papier eingewickelt, sogar die Waffel
selbst
schmeckt, sie ist mit Schokolade überzogen und weicht im Mund nicht auf. Bei unseren Waffeln zermantscht man immer den Rand mit seiner Spucke. Durchsichtige Flummis mit bunten Bändern im Inneren, man kann kaum den Drang beherrschen, reinzubeißen. DieseFlummis hören gar nicht auf zu springen. Wenn man sie im fünften Stock losläßt, hüpfen sie im Hausflur bis ganz nach unten. Bei uns gibt es nur Hartgummibälle, die auch mit größter Kraftanstrengung nicht vom Boden bis zur Hand zurückprallen.
    Matthias kauft sich eine Büchse Fanta. Wir setzen uns auf eine Bank und sehen ihm dabei zu, wie er sie öffnet, vielleicht darf man ja mal kosten? Er zieht an einem Ring, der schon in die Büchse eingearbeitet ist, praktischer geht es gar nicht. Ein feiner, betörend nach Orange duftender Nebel von Bläschen steigt aus der Büchse. Ganz klein steht ins Blech gestanzt «
Don’t litter
». «
Don’t
» heißt «tu nicht», aber «
litter
»? Wir fragen ein paar Passanten, ob sie wüßten, was «
litter
» heiße, aber sie wissen es auch nicht. Trotzdem ist es unterhaltsam, daß wir einfach so Leute ansprechen und sie uns antworten. Matthias rülpst. «Erzähl mehr von zu Hause …»

21 Im Zug blasen wir heimlich den Gestank von uns weg, wenn wir gefurzt haben, aber nicht so heimlich, daß es keiner merkt. Das Ratespiel, wer es gewesen ist, ein nie langweilig werdender Programmpunkt. Der Blick aus dem Fenster auf den Schrott der Fabriken. Wir haben nicht das Gefühl, mit diesen Dingen etwas zu tun zu haben oder irgendwann damit konfrontiert zu werden, hier für Besserung zu sorgen. Man weiß ja aus dem Westfernsehen, daß es anders geht, und man identifiziert sich mit dem erfolgreicheren Teil der Welt. Zumal diejenigen, die die Verantwortung tragen, schon äußerlich keine Vorbilder sind, sondern sich wie Rita anziehen. Unter «Kool & the Gang» würde das Land jedenfalls anders aussehen. InBitterfeld, dem Ort, der zu seinem Unglück sein Schicksal schon im Namen trägt, hält man sich demonstrativ die Nase zu, auch wenn keiner gefurzt hat. Die qualmenden Schlote, warum bauen sie bei uns keine Filter in die Schornsteine? Es ist doch klar, daß man sich auf diese Weise selbst vergiftet? Die Filter stelle ich mir wie auf die Schornsteine gesteckte Zigarettenfilter vor, das Prinzip ist doch denkbar einfach?
    Die anderen Menschen im Zug sind alle gleich angezogen. Ihre Ledertaschen sehen aus wie nach 100 Schuljahren. Ältere Männer, die die Hosenbeine ihrer blauen oder braunen Stoffhosen beim Radfahren mit einer Klammer sichern. So sehen auch die Lehrmeister aus, bei denen wir PA-Unterricht haben. Man kann kaum unterscheiden, ob sie Arbeitskleidung tragen oder sich schon umgezogen haben. Sie machen nicht gerne Urlaub, weil sie Angst haben, daß die anderen in der Zeit die Maschinen kaputtmachen. Wir haben jeden zweiten Freitag «Produktive Arbeit». Nach dem Unterricht geht man in der Clubgaststätte Mittagessen und fährt dann in den Betrieb. Ich bleibe, statt zu essen, lieber zu Hause und sehe in der Zeit fern. Bundestagsdebatten sind immer interessant, komischerweise sitzt kaum jemand im Saal. Ich würde gerne mal für die SPD eine Rede halten, da würden die Fetzen fliegen. Auf dem anderen Sender eine Wintersportübertragung, Ski-Weltcup der Damen oder «Super Dschie», da stehen die Tore etwas weiter auseinander. Was ist eigentlich so schwer daran, möglichst schnell einen Berg runterzurauschen? Es wäre doch viel aufschlußreicher, diese Wettkämpfe bergauf auszutragen? Wir haben nur den Fichtelberg, deshalb können wir keine Abfahrtsläufe trainieren und nehmen gar nicht teil. In Cortina d’Ampezzo scheintdie Sonne, und die Zuschauer bimmeln mit Kuhglocken. Das knirschende Geräusch, wenn es durch die Kurve geht. Im Ziel reißen sie ihre Skier hoch, das ist wegen der Werbung, denn auf der Unterseite steht «Elan». Wer ist denn so dumm, sich deshalb diese Skier zu kaufen? Die Reporter sagen immer: «Da simma vorne mit dabei.» Wenn sie von sich als «den Deutschen» sprechen, das

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