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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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habe. Vielleicht funktioniert das auch bei Sächsisch.»
    Bei der Sprecherziehung sitze ich immer einer jungen Frau mit schwarzen Haaren und weißem Kittel gegenüber, die übertrieben die Lippen bewegt und «Mnjamnjamnjam»macht, was ich wiederholen muß. Das beste daran ist, daß ich vormittags ein paar Stunden aus der Schule wegkann, weil ich zur Phoniatrie muß. Dieses wissenschaftliche Wort macht die Lehrer ganz kleinlaut. Auf dem Gelände vom Klinikum stehen so schöne altmodische Backsteingebäude, und man findet jede Menge Kastanien. Ich habe nur immer Angst vor den Verrückten aus Station 213, die angeblich nachts rausgelassen werden.
    Peggy macht mir die Übung nach. «Mnjamnjamnjam, mnjemnjemnjem, mnjimnjimnjim. Meeren, Mähren, Möhren. Masten, mästen, misten. Susi, sei leise, Sausewind. Und jetzt sag mal: ‹Kaiser Karl konnte keine Kümmelkörner kauen.›»
    «Gaiser Gorl gönnte geine Gümmelgörner gauen.»
    «Man muß das jeden Tag üben. Und dann jedes Wort aus dem Wörterbuch einzeln. Ich kann meine Eltern fragen, die sind Diplom-Philologen.»
    «Was machen die denn?»
    «Weiß ich eigentlich gar nicht. Ich glaube, die erforschen die Rechtschreibung oder so.»
    Henriette wundert sich, daß meine Füße immer noch dreckig sind. Aber ich sage, daß ich unterwegs schon wieder vergessen habe, daß ich sie waschen wollte. Diesmal geht sie zur Sicherheit mit.

27 Ich muß lange warten, bis ich sicher bin, daß alle eingeschlafen sind. Im Film schnarchen die Riesen in solchen Situationen immer, so daß man sich daran orientieren kann. Bei Comics sogar noch besser, weil aus ihren Mündern dort verschieden große «Z’s» aufsteigen. Ich halte mich mühsam wach, indem ich die Augen aufreißeund mich ins Gesicht kneife, aber ich schlafe immer wieder kurz ein. Wenn ich musikalisch wäre, könnte ich mir in Gedanken etwas vorsingen und den Schluß weglassen, wie Mozart als Kind, dann konnte sein Vater ja nicht weiterschlafen und rannte zum Klavier, um den letzten Akkord zu spielen. Mit aller Vorsicht gleite ich vom Bett, ohne Wolfgang zu wecken. Ich schleiche aus dem Bungalow und ziehe mir draußen meine Sachen über den Schlafanzug. Dabei trete ich auf den Metallfußabtreter und schreie fast vor Schmerz. Die Brückenwache ist jetzt nicht besetzt. Hinter dem Steinhaus, bei Opa Schulzes Wiese, wollten wir uns treffen. Die Stoffturnschuhe sind sofort naß vom Gras. Peggy wartet schon auf mich. Ich hoffe eigentlich, daß sie es nicht ernst meint, ich will nicht erwischt und nach Hause geschickt werden. Sie geht aber wirklich los, und ich folge ihr. Wir schweigen, bis das Lager hinter der Ecke verschwunden ist.
    «Brauchen wir nicht Proviant?» flüstere ich.
    «Ich hab Russisch Brot und Pfeffis.»
    «Kann ich einen?»
    Sie reicht mir eine Stange Pfeffis.
    «Zitrone schmeckt besser.»
    Ich stecke mir zwei Pfeffis als Hasenzähne unter die Oberlippe.
    «Hattu auch Möhren gewollt?»
    Peggy bekommt einen Lachanfall, bis jetzt hat sie noch nie gelacht. Es klingt wie ein quiekendes Meerschweinchen, sie krümmt sich richtig.
    Wie kommen wir nach Liebstadt? Trampen? Es fahren doch gar keine Autos nachts. Und wenn, dann würde man uns nicht sehen, und wenn man uns sehen würde, würde niemand anhalten. Und das wäre ja auch beängstigend,man weiß ja nicht, wer drinsitzt. Wir schwanken, ob wir winken oder uns verstecken sollen, falls ein Auto kommt. «Wir müßten uns Decknamen ausdenken, und eine Parole, damit wir uns wiederfinden, falls wir getrennt werden. So wie bei Lenin, der heißt doch nach seinem Lieblingsfluß Lena. Stalin ist der ‹Stählerne› und Gorki der ‹Bittere›, weil ihn das Leid der Ausgebeuteten so traurig gemacht hat.»
    «Ich möchte Papagena sein.»
    «Und ich bin Pankin, weil ich von der Panke komme.»
    «Das paßt aber nicht. Wenn ich Papagena bin, mußt du Papageno sein.»
    «Ist das nicht so ein Clown?»
    «Nein, das ist von Wolfgang Amadeus Mozart.»
    «So was hören meine Eltern immer am Sonntagmorgen auf BBC, so laut, daß man aus dem Bett fällt.»
    «Meine Mutter hört das auch, wenn es ihr nicht gutgeht.»
    «Das darf aber keiner von den anderen erfahren, daß wir klassische Musik kennen.»
    «Ich werd’s ihnen nicht sagen.»
    «Stell dir vor, man würde gefoltert.»
    «Ich würde gleich alles verraten.»
    «Man muß sich mit Nadeln unter den Fingernägeln stechen, um zu üben, jeden erdenklichen Schmerz zu ertragen.»
    «Die Faschisten haben mal einem Partisan die Zunge

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