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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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sind, wo sollen sie denn sein? Auf dem Mond?»
    «Können wir mal Ihre Pistole sehen? Bekommen Sie wirklich Milch gegen die Abgase?»
    Beim Frühstück achte ich genau darauf, wieviel die Mädchen essen. Ich schmiere Peggy ein paar Stullen und sage, daß ich die später essen werde. Ich hätte großen Hunger, weil ich von der Krankheit ausgezehrt sei. Das ganze Lager wird von uns nach Peggy abgesucht. Eigentlich wollten wir heute baden gehen, deshalb sind alle sauer auf sie, die könne mit «Gruppenkeile» rechnen.
    Weil die Leiter uns ablenken wollen, dürfen wir im Clubraum Ferienprogramm gucken. Alle johlen, denn vom Abend, als hier die Leiter saßen, ist immer noch ARD eingestellt: «Guten Abend, meine Damen und Herren.» Allerdings ist der Empfang sehr schlecht. Eine Gruppe von Urlaubern versucht, über den Zaun eines Campingplatzes zu klettern, sie haben es so eilig, als sei draußen ein Löwe ausgebrochen, ihre Kinder reichen sie als erstes rüber. Die Männer sehen aus wie unser Rettungsschwimmer, mit Schnurrbart und Marmorjeans, die Frauen haben Dauerwellen. Manche weinen, vielleicht, weil ihr Mann sie schlägt oder weil sie soviel Gepäck zu tragen haben. Ich kann aber nicht genauer erkennen, was los ist, weil das Bild so verrauscht ist und sogar ganz ausfällt, als auf der Landstraße ein Motorrad vorbeifährt. Gaby schaltet sowieso nach wenigen Sekunden um. Wir sehen einen Film über ein junges Pärchen, das durch ein Neubauviertel in Bulgarien stromert. Aus Übermut schütten sie Waschmittel in eine Wasserkaskade, daß es schäumt. Sie gehen die ganze Zeit Hand in Hand. Das macht mir am meisten Angst, daß ich mit einer Freundin Hand in Hand gehen müßte und alle es sehen würden. Ich hatte ja erlebt, wie das traurige Mädchen mit der Appellbefreiung gehänselt wurde, weil sie angeblich in Wulf verliebt war.
    Am Abend mache ich mir die Füße mit dem Sand vom Volleyballplatz dreckig. Peggys Stullen habe ich in meiner Waschtasche versteckt. Henriette hat Brückenwache. «Ich muß mir noch mal die Füße waschen. Das hatte ich vergessen», sage ich.
    «Das fällt dir ja früh ein.»
    «Die Polizei war hier. Sie wollten deine Mutter anrufen. Ich hab Stullen und Sahnetuben.»
    «Haben sie schon angerufen?»
    «Da war niemand da.»
    «Kommst du mit nach Liebstadt?»
    «Nach Liebstadt? Und wenn sie uns erwischen? Die schicken uns nach Hause.»
    «Wir gehen ja nachts, und wir können uns das Gesicht schwarz anmalen zur Tarnung. Warum hast du denn so dreckige Füße?»
    «Damit ich über die Straße komme.»
    «Und das Pflaster?»
    «Da wollte ich mit einer Lupe Feuer machen.»
    «Das hast du doch schon die ganze Zeit.»
    Mein bestgehütetes Geheimnis, mir kommen fast die Tränen, es war kaum auszuhalten, damit so allein zu sein.
    «So was kann man doch wegmachen», sagt Peggy.
    «Wie denn?»
    «Man muß sich mit Nadeln stechen.»
    «Kannst du das?»
    «Das können nur die Chinesen. Wenn man da was falsch macht, ist man querschnittsgelähmt. Ich kann es mit Handauflegen versuchen. Und außerdem einen Zauberspruch sagen, das kann ja nicht schaden.»
    Ich pule mir das rundgeschnittene Pflasterstück ab. Die Warze ist ganz weiß und weich, aber wenn man sie abkratzt,ist sie nicht weg, sondern wächst neu. Alle müssen denken: Der hat eine Ratte angefaßt.
    Peggy legt ihren Zeigefinger auf die Warze. «Abrakadabra, dreimal schwarzer Kater.»
    «Das ist doch für Kinder.»
    «Ich kenn’ sonst keinen Zauberspruch.»
    «Und der von Goethe?»
    «Konnte der denn zaubern?»
    «Na, nicht selber, aber in dem einen Gedicht. Mußtet ihr das nicht lernen für Deutsch? ‹Walle walle, manche Strecke, daß zum Zwecke Wasser fließe› …»
    «Geht der denn auch für Warzen?»
    «Wenn man ganz fest daran glaubt?»
    Wir schließen die Augen und versuchen, ganz fest daran zu glauben, daß meine Warze weggeht. Ich weiß nicht, wie man mit Absicht fest glaubt, deshalb mache ich es, wie wenn ich aufs Klo gehe, halte die Luft an und presse das Blut in den Kopf.
    «Warum sagst du eigentlich nichts, wenn sie dich Miss Piggy nennen?»
    «Ich heiße ja Peggy und nicht Piggy.»
    «Und warum hat es dir nicht mehr gefallen im Lager?»
    «Weil mich keiner leiden kann. Weil ich ein Sachse bin.»
    «Das ist doch nur, weil du so sprichst.»
    «Aber ich kann nicht anders sprechen.»
    «Soll ich dir Hochdeutsch beibringen?»
    «Wie denn?»
    «Ich gehe zur Sprecherziehung, weil ich den Mund nicht richtig aufmache und deshalb Stimmlippenknötchen

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