Schneckenmühle
steht, mit Fotos von Mülleimern, Betonwänden und Straßenlaternen, die von Efeu umrankt sind. Überall liegen geheftete Papiere rum, mit blasser Schreibmaschinenschrift, die Buchstaben ganz verschwommen von den vielen Durchschlägen und die Bilder wie mit Kartoffeldruck hergestellt.
Der Pfarrer erscheint mit einem Tablett, auf dem drei getöpferte Tassen stehen, sie sehen aus wie kleine Kleckerburgen, ich suche den Henkel.
«Die sind von unserer Behindertenwerkstatt.»
Ob die ihm auch Pommes schneiden?
Auf dem Pappschild steht «Teekanne». Hat er wirklich Westtee für uns geopfert? Warum heißt es eigentlich «Teekanne»? Als würde man eine Brausesorte «Brauseflasche» nennen?
«Jetzt noch mal ganz langsam. Wo kommt ihr her, warum seid ihr nicht dort, und was wolltet ihr in unserer Kirche?»
«Wir sind aus der Sportschule abgehauen, aus dem Internat, weil meine Mutter Schwindsucht hat», sagt Peggy.
«Dann schlaft ihr heute nacht bei uns, und ich werde euch morgen zurück zur Schule bringen müssen.»
«Wir wollen aber nicht mehr Olympiasieger werden.»
«Das verstehe ich. Man muß nicht immer der beste sein. Es kann auch schön sein, sich für andere zu freuen.»
«Und morgen ist zu spät, wir müssen ihre Mutter anrufen. Die weint sich sonst die Augen aus vor Angst um Peggy», sage ich.
«Am Platz der Republik ist eine Telefonzelle, die kann ich euch morgen zeigen.»
«Da kommt aber das Geld nicht wieder raus, und ich hatte meine Mark gespendet und wollte sie ja nur wiederholen», sage ich.
«Aber was ihr vorhattet, ist Diebstahl. So geht das nicht. Da könnte ja jeder kommen.»
«Es wäre ja nur geborgt gewesen.»
«Das sagen alle, und wohin hat uns das geführt?»
«Wieso uns?»
«Unser Land.»
«Sie meinen mit dem Sozialismus? Sind Sie denn kein Idealist?»
«Wenn alle Menschen wie Jesus wären, würde der Sozialismus funktionieren.»
«Aber daß man in die Kirche geht, macht aus einem sowenig einen Christen, wie man ein Auto wird, wenn man eine Garage betritt.»
«Das ist ein sehr gutes Bild. Das würde sich gut für eine Predigt eignen.»
Ich habe den Spruch aus meinem Poesiealbum, eine Cousine aus Bonn hat ihn mir reingeschrieben: «Indianisches Sprichwort». Ich überlege, ob mir noch andere Sprüche einfallen, die dem Pfarrer gefallen könnten. Wenn man mit Erwachsenen redet, versucht man ja immer, ihr Mißtrauen zu unterlaufen, man muß sie irgendwie unauffällig beruhigen, ohne daß sie es merken, weil sie ja immerfort Angst vor den Jugendlichen haben. Der Pfarrer freut sich bestimmt, wenn ich noch mehr christliche Sachen sage. «Und wenn das fünfte Lichtlein brennt, denn haste Weihnachten verpennt», ausgerechnet das fällt mir jetzt ein. Dabei liegen zu Weihnachten neben einem Satz Unicef-Postkarten mit krakligen Kinderzeichnungen immer Kalender und Fotobücher in unseren Westpaketen, mit christlichen Sprüchen, meistens von Carl-Friedrich von Weizsäcker oder von Dorothee Sölle. Carl-Friedrich von Weizsäcker ist der Bruder des Präsidenten, der ja eigentlich auch kein schlechter Mensch ist, aber sein Bruder ist eben Physiker, und deshalb zählt es noch einmal mehr, was er sagt, vor allem, wenn er als Atomforscher gegen die Atomkraft ist,
der
muß es ja schließlich wissen.
Ich weiß überhaupt nicht, was ich zum Pfarrer sagen soll. Ich bin es gewöhnt, daß ich für solche herausragenden Personen wie den Pfarrer oder den Schuldirektor unsichtbar bin, höchstens Teil einer Gruppe von Kindern. Das war immer eigenartig, weil man selbst diese Leute jaschon seit Jahren kannte. Was hat er nachts in der Kirche vorgehabt? Wollte er mit Gott sprechen, wie Don Camillo?
«Herr Pfarrer, warum ist eigentlich die Tür von der Kirche immer offen?»
«Das ist wegen der Holzwürmer. Wir haben ein Holzschutzmittel eingesetzt, von unserer Partnergemeinde in Essen. Das war wohl ein bißchen stark, die Leute haben im Gottesdienst Kopfschmerzen bekommen, deshalb lüften wir zur Zeit Tag und Nacht. Was machen wir denn jetzt mit euch?»
Wir können hier nicht übernachten, jedenfalls ich nicht, ich muß rechtzeitig zurück ins Lager. Wir könnten höchstens ins Bett gehen und, wenn er eingeschlafen ist, heimlich abhauen.
«Ich schlage vor, ich zeige euch jetzt eure Betten. Wenn ihr etwas braucht, könnt ihr einfach Bescheid sagen, ich bin noch eine Weile wach, ich schreibe meine Predigten immer nachts, sonst habe ich ja nie Ruhe. Das ist nicht immer einfach mit fünf Kindern.»
Er wird
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