Schneckenmühle
mach mich mal besoffen.»
Die Wirtin schenkt Bier in einen Pappbecher ein, aber der Mann schiebt ganz ruhig ihre Hand zur Seite: «Für mich bitte ein Glas, für den gepflegten Biergenuß.»
«Heute kommen aber die Russen.»
«Die kommen heute nicht.»
«Ingo, zieh ’n Finger», sagt der, den sie Renz nennen, er ist der Jüngste in der Runde, er hat lange, schwarze Locken und eine Tätowierung auf dem Arm, «Gerlinde».
Ingo klopft auf den Tisch, die anderen klopfen auch. So begrüßt man sich in Kneipen, damit man nicht jedem einzeln «Guten Tag» sagen muß. Er betrachtet uns mißtrauisch. «Riecht nach Milchbrei.»
«Aus der Hauptstadt.»
«Hauptstadt? Von was?»
«Die Kleine ist aus Dresden», sagt Renz.
Ingo beugt sich zu Peggy runter und schnüffelt an ihrem Gesicht. «Riecht gar nicht verbrannt …»
«Wir müssen nur mal telefonieren, ihre Mutter liegt im Krankenhaus», sage ich.
«Dann fahrt doch nach Berlin, da gibt’s Telefone.»
«Es muß schnell gehen, sie ist
sehr
krank.»
«Was hat sie denn?»
«Schwindsucht.»
Eine andere Krankheit ist mir so schnell nicht eingefallen. Ingo antwortet nicht mehr, er setzt sich zu den anderen. Er hat kein Interesse an uns. Sie spielen Skat, und ich weiß nicht, ob es Sinn hat, noch weiter zu warten, daß Opa Schulze sich an das Telefon erinnert.
«Hast du die Dachpappe?» fragt Renz.
«Nitschewo. Ich hab’s bis hier. Wär ich mal im Lager geblieben.»
Im Lager? Hat er das wirklich gesagt? Ich versuche, zu schätzen, wie alt Ingo ist, und rechne rückwärts, aber ich verrechne mich in der Aufregung immer wieder.
«Scheiß Osten! Die pfeifen auf dem letzten Loch!»
«Ein halbes Stück Butter! In Ölpapier eingewickelt. Aber steinhart!» sagt der Mann neben mir.
Butter! Öl! «Maslo» heißt bestimmt auch «Öl»!
«Hör doch auf mit deinem Krieg, Wendland, hier ist bald wieder Krieg, den Berlinern muß man die Reifen aufschlitzen, die haben uns die Russen ins Land geholt!»
«Roswitha, hier ist schon wieder Luft im Becher, pump die mal ab!», sagt Renz. An den muß ich mich halten, der wirkt nicht ganz so aggressiv. Aber nur im Vergleich zu Ingo, sonst würde ich mich vor Renz genauso fürchten.
«Wenn die Russen kommen, dürfen keine Gläser rumstehen, das ist zu gefährlich, wenn sie besoffen sind», sagt Renz zu mir.
«Die Weiber und der Suff, die reiben den Menschen uff», sagt Ingo.
«Und führe uns nicht in die Milchbar.»
«Der ist ’ne Seele von Mensch», flüstert Renz mir zu. «Aber seine Frau wohnt neuerdings in Ingolstadt.»
Die Wirtin bringt Bier und Schnapsgläser. Renz singt eine dramatische Melodie, und die anderen stimmen ein. «Na, Männer? Alles klar?» «Jawohl, Herr Kaleu!» Sie tauchen die Schnapsgläser in die Biergläser und lassen sie los. Die Schnapsgläser sinken bis nach unten.
«Schulze, hast du dem schon erzählt, woher du dein Auge hast?»
«Von seinem Großvater», sage ich.
«Nee, von seinem Teddybär», sagt Renz.
«Und daß er in die LPG mußte, hat er dir auch erzählt?» fragt Ingo. «Und daß er im Knast war, weil sie als ersteshaben die Schweine verrecken lassen? Sogar im Schreibtisch hatte er ein totes Ferkel versteckt, halb verwest.»
«Wieso starrst du denn immer die Glocke an? Willst du mal ziehen?» sagt Renz.
Ingo hält mir die Strippe hin.
«Na, los, tut nicht weh.»
Ich zögere. Er nimmt meine Hand und quetscht sie mit seiner Pranke zusammen. «Hier ziehen, wie beim Scheißen.»
Ich läute die Glocke, und der ganze Raum jubelt.
«Ganz schön großzügig», sagt Ingo.
Ich sehe zu Opa Schulze, aber der ist eingeschlafen.
«Wer A sagt, muß auch B sagen», sagt Ingo.
«Ich hab kein Geld, nur zum Telefonieren.»
«Jetzt hör doch mal auf mit deinem Teleonanieren. Kannst du Skat?» fragt Ingo.
«Ja, aber nicht mit dem deutschen Blatt.»
«Quatsch nicht. Geld auf den Tisch.»
«Die Kleine ist schon ganz blaß, die kippt uns noch ab», sagt Renz.
«Wie heißt du, Bonzensohn?»
«Papageno.»
«Was?»
«Na, eigentlich Jens.»
«Also, Jens, wir spielen jetzt eine Runde. Wenn du gewinnst, darfst du dein Geld zum Telefonieren nehmen, wenn ich’s mir bis dahin nicht anders überlege. Wenn du verlierst, dann machen wir mit euch heute noch eine Schloßbesichtigung und erklären euch die Diktatur des Proletariats.»
Alle lachen. Das nächste U-Boot wird versenkt. Ich müßte irgendwie Opa Schulze wecken, ich könnte ihn heimlich unter dem Tisch mit dem Finger pieken, aber ich traue mich
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