Schneckle im Elchtest
musste ich nur an diesen Abend zurückdenken.
Kurt schien mein Entsetzen derweil nicht zu teilen. Fröhlich flüsterte er mir zu: »Nein, nein, lass ihn nur. Schau hin: Das ist deine Zukunft!«
»Oh Gott«, war alles, was mir dazu noch einfiel.
Ich blinzelte zwischen meinen Fingern hindurch. Hartmut hüpfte inzwischen kreuz und quer über die Tanzfläche. Die Besucher hatten einen Kreis um ihn gebildet und glotzten ihn an wie Kühe ein frisch gelandetes Ufo.
Das
war meine Zukunft?
Mein Schwiegervater in spe blieb schlagartig stehen, seine Reimerei schien ihm zu entfallen. Wahrscheinlich erreichte genau jetzt der letzte der vielen, vielen Schnäpse den Rest seines Gehirns. Dann hob er in Zeitlupe die Gitarre über seinen Kopf. Wurde ich in wenigen Momenten Zeuge davon, wie er uns den Hendrix machte und die Gitarre zertrümmerte?
Die Menge hielt den Atem an.
Plötzlich schnappte Hartmut sich das Instrument und nahm es wie ein Steckenpferd zwischen seine Beine. »Hühott, fort, fort, sie reiten die Jahre, Edith, sie reiten, sie reiten. Davon. Halt sie fest. Sonst bist du alt!« Wie ein Dreijähriger hopste er dazu im Kreis um die Tanzfläche.
Bevor ich anfangen konnte, mit meinem Kopf gegen den Boden zu hauen, hatte der seit Jahren Hartmut-erprobte Udo ein Einsehen und sprintete klatschend zu ihm: »Soooo, lieber Hartmut, vielen Dank für diese großartige expressionistische Darbietung. Wir haben nichts anderes als eine solch schockierende Entlarvung des Kleinbürgertums erwartet und werden noch lange Zeit davon sprechen. Herzlichen Dank!« Er baute sich neben ihm auf und spendete ihm frenetisch Beifall.
Die anderen deutschen Gäste ließen sich nicht lange bitten und klatschten sich ebenfalls die Hände wund. Die meisten klatschten wahrscheinlich Udo für sein Eingreifen Beifall.
Mein Blick wanderte derweil zu den Schweden, die samt und sonders stumm auf ihren Stühlen saßen und irritiert auf Hartmut starrten. Alle bis auf den Geheimmischung-Koloss, der eindeutige Fingerbewegungen rund um sein Oberstübchen machte und dazu passend die Augen verdrehte. Wer diesen überaus sympathischen Mann wohl eingeladen hatte?
Nach dieser Nummer kam der reichlich beleidigt aussehende Alleinunterhalter weiteren Darbietungen erst einmal mittels Lautstärke zuvor. Ohrenbetäubend dröhnte eine Polonäse Blankenese durch den Raum. Ich fühlte mich in den Cancan-Mariechenhimmel zurückversetzt.
Joes Freundin Ulrike gab sich betont ausgelassen. Sie trug einen bodenlangen Rock und ein eng anliegendes SpaghettiTop ohne BH darunter, was bei Körbchengröße A eigentlich nicht weiter bemerkenswert gewesen wäre – wäre das Top nicht durchsichtig gewesen. Ihre Schuhe hatte sie in eine Ecke geschmettert und tanzte nun jauchzend mit wild rudernden Armen durch den Schuppen.
Leider war Kurt inzwischen weitergezogen. Verzweifelt suchte ich jemanden, mit dem ich über diese Darbietung schamloser Selbstüberschätzung herziehen konnte. Aber Steve wich mir auch an diesem Abend die ganze Zeit aus. Von Solidarität verstanden diese Hamburger offensichtlich so viel wie vom Autobauen.
Ich seufzte und beschloss, mir noch ein Bier zu holen. Am äußersten Ende des Büffets saß eine der beiden Zwillinge mit glasig verheulten Augen. Neben ihr saß Dr.-Kimble-auf-der-Flucht-Steve und tröstete sie.
»Was ist denn hier los? Spielen die Hormone verrückt?«, fragte ich lapidar.
Wieso hielt dieser Kindergarten-Casanova eigentlich ständig jedem das Händchen, nur mir nicht?
»Lass sie«, zischte er. »Sie schämt sich für ihre Mutter in Grund und Boden. Kannst du dir vielleicht vorstellen, wie schrecklich das für sie sein muss?«
»Nein, kann ich nicht«, gab ich zufrieden lächelnd zurück. »Meine Mutter würde sich im Traum nicht so albern aufführen.«
»Das ist so-ho-ho-ho peinlich!«, jammerte das heulende Elend neben Steve. »Ich werde hier nie-hi-hie mehr mein Zimmer verlassen!«
»Ich dachte, da wohnt jetzt der feiste Alleinunterhalter«, sagte ich, um Öl ins Feuer zu gießen. »Willst du da tatsächlich für immer drinbleiben? Mit dem?«
»Sabine!«, fuhr mir Steve böse über den Mund und drückte den von erneuten Heulkrämpfen geschüttelten Zimmerbrunnen.
Nun war ich doch einigermaßen erstaunt. Sicher, er war in den letzten Tagen ständig mit dem doppelten Giggel-Lottchen zusammen gewesen. Aber dieses Ausmaß an Solidarität kam mir doch etwas unangemessen vor.
Deshalb erklärte ich: »Du musst das so sehen, Petra
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